Das habe ich seit SĂŒskinds âParfĂŒmâ nicht mehr erlebt: Ein Buch, das mich nicht mehr loslĂ€Ăt, obwohl von vorn bis hinten voller Ekelszenen, das mich im Gegenteil immer mehr hineinzieht und fasziniert. Zartbesaitete Naturen seien gewarnt: Die Autorin erspart ihren Lesern und Protagonisten nichts. Gleich am Anfang prĂ€sentiert sie uns eine Wasserleiche. Es folgen: EĂ-und Brech-AnfĂ€lle, Matsch und Modder, schleimige Schneckenviecher in erschreckender Zahl, ein ertrĂ€nkter Hund und eine Vergewaltigung. Akustisch begleitet vom permanent tröpfelnden, plĂ€tschernden, prasselnden Regen, der nach und nach endgĂŒltig zerstört, was vorher schon angeknackst war-von Hausfundamenten bis zu zwischenmenschlichen Beziehungen.
Leon, ein Hamburger Schriftsteller mit Kontakten zur Halbwelt und seine hĂŒbsche, aber an Bulimie und mangelndem SelbstbewuĂtsein leidende Frau Martina (diesen Namen hat sie sich aufzwingen lassen, weil ihm der echte nicht gefiel!) beziehen ein abgelegenes Haus in einer morbid-romantischen Moorlandschaft Mecklenburgs. Hier will er in Ruhe die Biographie eines alternden ZuhĂ€lterfĂŒrsten aus St.Pauli vollenden. Eine Auftragsarbeit, die sich als Pakt mit dem Teufel erweist. Nicht nur die Ganoven bedrohen das traute Heim, sondern auch morsche und absackende Grundmauern, bis schlieĂlich alles auseinanderbricht ...
Ein makabres Verfallsszenario, eindringlich-bildhaft beschrieben, die Personen sind lebendig und treffend gezeichnet, auch wenn sie nicht immer beim Leser Sympathie wecken. Die klare, flĂŒssige Sprache hat eine gewisse Leichtigkeit, die im krassen Gegensatz zur dĂŒsteren Szenerie steht. Duve gelingt der Balanceakt zwischen Tragik und Komik, niemals geleitet sie ins SchwermĂŒtig-Depressive ab. Zudem ĂŒberrascht sie mit einem Sammelsurium stĂ€ndig neuer skurriler EinfĂ€lle und Personen. So entpuppt sich ein biederer DorfkrĂ€mer als heimlicher Transvestit und gerĂ€t unter Mordverdacht, und zwei Ă€uĂerlich wie charakterlich extrem unterschiedliche Schwestern mischen das Geschehen krĂ€ftig auf. Knallharte Spannungselemente verbinden sich mit der unwirklich-mysteriösen AtmosphĂ€re, die ĂŒber dem Moor liegt. Mal steht der Leser mitten in einem Krimi, mal in einem verwunschenen MĂ€rchenwald. Allzu platte, voraussehbare Lösungen werden vermieden, deshalb laufen manche ErzĂ€hlfĂ€den ins Leere. So geht Martina nicht, wie zunĂ€chst angelegt, eine Beziehung mit der Nachbarin ein, sondern flieht als Einzige aus diesem Mikrokosmos des Verfalls, und entledigt sich- zumindest symbolisch- ihres Kindheitstraumas.
Bester Lesestoff fĂŒr Freunde des abgrĂŒndigen und schwarzen Humors.
Karen Duve: Regenroman.
List Taschenbuch Verlag, Berlin, Dezember 2000.
304 Seiten, kartoniert.