Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
London, 1814: Von ihrem Vater wird die 14-jährige Hannah Cheshire zu einer jungen Frau vom Stand erzogen. Bildung ist ihm dabei nicht sonderlich wichtig, Hannah soll sich vor allem zu benehmen wissen und sich auf die ihr zustehenden Tätigkeiten in einer Ehe vorbereiten. Doch dann kommt alles anders: Eines Abends kommt der Vater in schlechtem Zustand zurück ins Haus und packt rasch seine Sachen. Er verreise nach Paris, Hannah solle sich in seiner Abwesenheit zusammenreißen. Das Mädchen glaubt ihm und harrt seiner Rückkehr – aber auch nach vielen Tagen bleibt diese aus. Stattdessen steht Hannahs Hauslehrer Thomas vor der Tür und behauptet, ihr Vater habe seit Jahren zahlreiche Schulden und sei nun geflohen, um dem Tod zu entgehen. Er, Thomas, wäre bereit Hannah zu heiraten, um sie vor einem rasanten Abstieg zu bewahren. Hannah lehnt ab und glaubt weiterhin daran, dass ihr Vater in wenigen Tagen zurückkehren wird. Auf der Suche nach etwas Geld wird sie festgenommen und des Diebstahls bezichtigt. Es kommt zur Verurteilung und bereits kurz danach befindet sich Hannah als Gefangene auf einem Schiff, auf einer Reise ins Ungewisse nach New South Wales, der Sträflingskolonie.
Zu Beginn dieses Jugendromans ist die Handlung gewissermaßen in drei unterschiedliche Ebenen gegliedert: Hannahs Erfahrungen im Gefängnis – denn zu diesem Zeitpunkt wurde sie bereits verhaftet –, ein Blick in die Vergangenheit, um zu klären, wie sie in das Gefängnis gekommen ist, und schließlich die Geschichte von Scatterheart. Dieses Märchen zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch, immer wieder werden zu Beginn jedes neuen Kapitels einige Zeilen aus Scatterhearts Leben offenbart, und damit eine Geschichte, die der Hauslehrer Thomas Hannah erzählt hat. Leider verliert man über das ein oder andere seitenstärkere Kapitel hinweg oftmals den Zusammenhang, was das Bild, das man von Scatterheart gewinnt, trübt. Die Erzählung um ihrer Leben passt auf der anderen Seite immer wieder zur Haupthandlung, so befinden sich Hannah und Scatterheart beispielsweise oft in vergleichbaren Situationen, etwa einer allgemeinen Ratlosigkeit über den Weg zu ihrem geliebten Freund. Mit fortschreitender Zeit bringt Hannah ihr Leben und das Scatterhearts auch durcheinander, die beiden verschmelzen miteinander. Ursprünglich hat Thomas dem jungen Mädchen die Geschichte von dem weißen Bären und der Dame, die sich schließlich auf die Suche nach ihm begibt, mit auf den Weg gegeben, um ihr bei ihren eigenen Entscheidungen Orientierung zu bieten – besonders deutlich wird das in den letzten Kapiteln.
Gelungene Umschreibungen lassen hier ein lebhaftes Bild von Gefangenschaft, der Schiffreise und der Kolonie New South Wales, heute ein Teil Australiens und die erste britische Kolonie auf diesem Kontinent, entstehen. Hannah durchwandert in dieser Zeit einen spürbaren Wandel von der wohlbehüteten Dame aus gutem Hause zu einem Mädchen, das für ihre Träume einsteht und sich zu behaupten weiß. Im Vordergrund steht nicht so sehr die geschichtliche Rahmenhandlung, sondern ebendieser Wandel in Hannahs Wesen.
Insgesamt ist »Scatterheart« ein bezauberndes Buch für Jugendliche ab 12 Jahren, flüssig zu lesen und lebhaft erzählt. Eine empfehlenswerte Zeit- und Schiffsreise nach Australien.
