Michael Scott: Der Dunkle Magier – die Geheimnisse des Nicholas Flamel
Die Fans des sagenumwobenen, unsterblichen Alchemisten Nicholas Flamel mussten nicht lange warten, bis sie wieder mit der Kriegerin Scathach und den Zwillingen Josh und Sophie Newman um die Rettung der Welt vor den Älteren bangen konnten. Wer den ersten Band von Michael Scotts Jugendbuchreihe „Die Geheimnisse des Nicholas Flamel“ nicht kennt, sollte gut aufpassen, denn eines garantiert der Name „Flamel“ hundertprozentig: konfuse Verstrickungen von parallelen Ereignissen und weitreichenden Konsequenzen. Aber von Beginn an:
Nicholas und seine Frau Perenelle lebten als die Buchverkäufer Nick und Perry im Amerika des 21. Jahrhunderts als Mittvierziger. Ihr wahres Alter von mehreren Jahrhunderten verdanken sie einem lebenserhaltenden Trank, dessen Rezeptur sie im Buch des Abrahams gefunden haben. Dieses enthält zahllose andere Formeln, die dem Erhalt aber ebenso der Zerstörung der Erde dienen können. Es gibt auch eine Offenbarung darüber preis, dass sich das Schicksal der Welt mit einem Zwillingspaar entscheiden wird. Als Nicholas und Perenelle bemerken, dass Josh und Sophie Newman,
die in ihren Ferien bei ihnen ihr Taschengeld verdienen, diese Zwillinge sind, beginnt für alle ein kräftezerrendes und pausenloses Abenteuer. Während Josh und Sophie sich an die neue Sicht auf ihre Welt gewöhnen müssen, - plötzlich bemerken sie, dass es Vampire, Zauberer, Unsterbliche gibt und dass Magie keine Illusion ist – wird den Flamels das Buch des Abraham gestohlen. Nicholas kann zwar die Seite entwenden, die eine Wiederweckung der Älteren beschreibt, dennoch altern er und seine Frau nun schneller und ein Wettlauf mit der Zeit wird darüber entscheiden, ob sie das Buch rechtzeitig erhalten, um ihren Trank einzunehmen, oder ob ihre Zeit auf der Erde die Magier einholt. Dr. John Dee, der Unsterbliche, der im Dienst der Älteren (der Wesen, die die Erde vor den Menschen bevölkerten und mit fast grenzenloser Macht ausgestattet sind) steht, ist der Dieb des Buches Abrahams. Sein Ziel: Die Herrschaft der Älteren heraufbeschwören, die vor Jahrtausenden teils gezwungenermaßen, teils freiwillig, die Erde den Menschen überlassen haben. Das Buch in seiner Hand ist also doppelt gefährlich. Aber ohne die fehlende Seite ist es für ihn fast nutzlos. Er beginnt also eine Hetzjagd auf den Alchemisten. Der Prophezeiung zu Folge sind die Zwillinge die einzigen, die diesen entfachten Krieg entscheiden können.
Mit der Hilfe der Kriegerin Scathach und dem Ehepaar Flamel sollen die beiden Jugendlichen unterrichtet werden, um ihre angeborenen Fähigkeiten im Kampf gegen das Geschlecht der machtdurstigen Älteren anwenden zu können. Nachdem Sophies Kräfte im ersten Band geweckt wurden und sie bereits einiges über die Luftmagie erfuhr, finden sich die Zwillinge im zweiten Band in Paris wieder – der Geburtsstadt Flamels. Perenelle wurde gefangen genommen und versucht aus dem Gefängnis Alcatraz zu fliehen. Nicholas´ erste Sorge ist die Flucht, denn Dee hat sich Unterstützung besorgt: Der italienische Magier Niccolò Machiavelli, ebenfalls unsterblich, weil er sich einem Älteren verpflichtet hat, konnte sich in seinem langen Leben eine hohe Position in der französischen Polizei sichern und hat damit seinen Ruf als gefährlichster Unsterblicher Europas kein Stück eingebüßt. Er und Dee scheuen keine Mittel, magischer und menschlicher Art, um die Zwillinge, Flamel und die Kriegerin Scatty gefangen zu nehmen. Doch trotz zahlloser Polizeibeamter und Zaubertricks, können die vier Zuflucht bei einem ehemaligen Schüler Flamels finden: Saint Germain. Der Alchemist, der in Indien Meister der Feuermagie wurde, hat nicht nur Johanna von Orleans geheiratet, die seit einer Rettungsaktion von Scatty unsterblich ist, sondern ist in Frankreich sogar zu einem reichen, begehrten Musikstar geworden. In Germains Stadthaus können die Zwillinge kurz Energie tanken. Doch das Wohlgefühl, das Germain und seine Frau ihnen vermitteln währt nicht lange. Dee und Machiavelli sind Josh und Sophie, die sie als sagenumwobene Zwillinge für ihre Zwecke nutzen möchten, dicht auf den Versen. Und sie haben Unterstützung mitgebracht: Drei Disire, die nicht nur eine ungebändigte Wut auf die Kriegerin Scatty sondern auch ein Urzeitmonster mitbringen. Sophies Kräfte werden zwar immer geschickter und mit Germains Hilfe gelingt ihr auch die Kontrolle der Feuermagie, doch noch immer konnten Joshs Kräfte nicht geweckt werden. Immer noch fühlt er sich seiner Schwester ungewohnt fremd und misstraut dem Alchemisten. All dies und die Verschlechterung von Nicholas´ gesundheitlichen Zustand sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, um den Kampf gegen vereinte böse Mächte aufzunehmen. Wird Dee also die besondere Seite bekommen? Wird jemand den tragischen Ereignissen zum Opfer fallen? Oder wird Josh die Seite wechseln? Wird Perenelle sich aus ihrem Gefängnis befreien können?
Dieses Abenteuer gönnt seinem Leser wirklich keine Verschnaufpause. Scott liefert erneut einen fulminanten, ereignisreichen Roman, der durch Einfallsreichtum und Aufregung besticht. Einzige Nebenwirkung: Manchmal ist die Handlung wirklich zu atemberaubend. Besonders der Wechsel zwischen den verschiedenen Handlungsströmen, der ausnahmslos an spannenden Zeniten eines Kampfes oder Begegnung vollzogen wird, kann anstrengend werden. Jedesmal wenn die Neugier den Leser dazu antreibt weiterzulesen, stößt dieser auf ein neues Ereignis, das seine Neugier ebenso fesselt, sodass er hin und her gerissen ist. Auch die Sprache dient nur dem Zweck, die Action zu übertragen. Wer verspielte Sprachexperimente sucht, kann sie nicht im zweiten Band dieser Jugendbuchreihe finden.
Aufgrund der komplexen Handlungsverwobenheit hatte ich anfangs Bedenken, ob ich überhaupt in den Roman hineinfinden würde, oder ob mir die Ereignisse aus seinem Vorgänger zu wenig im Gedächtnis geblieben sind. Diese Angst wischt Scott allerdings geschickt hinweg. Die Zahl an Verweisen auf den ersten Band ist sehr angenehm und auch die Erklärungen sind nie zu ausschweifend oder zu karg. Vor allem findet sich aber am Anfang des Buches ein Tagebucheitrag des Alchemisten, der die Geschehnisse aus dem ersten Band zusammenfasst.
Faszinierend ist auch das unglaubliche Spektrum an Mythen, das Scott in seinen Romanen verpackt. Als internationaler Fachmann für mythen- und kulturgeschichtliche Themen verfügt er auch über den notwendigen Hintergrund, um die ganzen Älteren, Krieger und Unsterblichen in gewisser Weise fundiert in seinen Roman einbinden zu können. Eine gewisse Geborgenheit erzeugt Scott damit. Denn Figuren wie Mars oder Johanna von Orleans sind uns allen bekannt, weshalb wir uns geradezu angesprochen fühlen, wenn sie auftauchen. Als würden Bekannte plötzlich in dem Roman auftauchen.
„Der dunkle Magier“ hat mehr als wir von einem Abenteuerroman erwarten können. Er ist für Spannungshungrige ab 12 Jahren geeignet, bedient aber auch die ältere Klientel. Und zwar so gut, dass er einfach nicht los lässt. Zum Glück ist die Fortsetzung bereits in Arbeit und wird uns in eine Stadt entführen, die noch mehr Gelegenheiten zur Mytheneinbindung bietet. London – die Stadt der Älteren.
Michael Scott: Der Dunkle Magier – die Geheimnisse des Nicholas Flamel.
cbj, Januar 2009.
512 Seiten, Hardcover, 18,95 Euro.