Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
Ein ukrainischer Bohemien lebt Anfang der Neunziger Jahre in einem Moskauer Studentenheim unter anderen Literaturstipendiaten, die lieber saufen, sich prügeln und große Reden schwingen als studieren. Otto Wilhelmowytsch irrt durch ein endzeitlich anmutendes Moskau. Fast alles spielt sich im Dunkeln ab. Morbid und gespenstisch wirkt diese Stadt, und ihre Bewohner ebenso. An einem Tag im Mai macht sich Otto auf zu einem Kaufhaus, das neben dem berüchtigten KGB-Gefängnis liegt. Dieser Tag wird zum Höllentrip für ihn. Zunächst besucht er eine Freundin, die als letzte in einem Abbruchhaus lebt, dann entgeht er knapp einem Bombenanschlag in einem ärmlichen Imbisslokal. Schließlich landet er nach langen Irrwegen in einem geheimen U-Bahn-Schacht und am Ende auf einer grotesken Geheimversammlung...
Etwas Sinn fürs Morbide und Bizarre sollte man mitbringen, wenn man den Helden auf seinen abgründigen Erlebnissen begleiten und den derben Humor des Autors goutieren will.
Immer surrealer wird die Handlung, sehr plakativ spielt der Autor mit Russen-Klischees, und manche Pointen sind nur Kennern russischer Politik und Geschichte verständlich. „Moscoviada“, geschrieben 1995, ist ein Abgesang auf die Sowjetunion, verweist aber gleichzeitig auf die Gespenster der Vergangenheit, die auch heute noch aktiv sind: Großrussischer Chauvinismus, Militarismus, Verklärung der kommunistischen Herrschaft. Dadurch gewinnt der Roman eine beklemmende Aktualität. Ein sprach-und aberwitziges Buch, voller Wortspiele und –schöpfungen, die virtuos ins Deutsche übersetzt wurden.
Juri Andruchowytsch: Moscoviada.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, August 2006.
223 Seiten, Hardcover.