Erinnert sich noch jemand an den Stimmenauszählkrimi bei der vorvorletzten amerikanischen Präsidentenwahl 2000? Alles hing an einem einzigen Bundesstaat: Florida. Tagelang wurde uns vorgeführt, dass die Demokratie unbestechlich wäre und es auf jede gültige Stimme ankäme und nur die Mehrheit der Staatsbürger entscheidend wäre. Wirklich?
Vincent Wayne Merrit ist Programmierer und weiß, dass er ein Unterprogramm für die erstmals eingesetzten Wahlcomputer in Florida geschrieben hat. Was er nicht weiß, ist, ob dieses Programm auch eingesetzt wurde. Aber es wäre möglich. Acht Jahre später gerät er in die Hand von Erpressern, löscht alle Dateien und schickt die einzige Sicherungskopie zu seinem Vater nach Deutschland: dem Lehrer Simon König. Der kann als erklärter DAU damit gar nichts anfangen, muss aber sehr schnell erkennen, dass er äußerst brisante Daten erhalten hat. Ein Gruppe Computerfreaks klärt ihn auf und entwickelt gemeinsam mit ihm einen Plan, wie man den Betrug, der offensichtlich für die nächste Bundestagswahl geplant ist, aufdecken kann. Dafür ist es notwendig, eine Partei mit dem Kürzel VWM daran teilnehmen zu lassen. Gemeinsam ersinnt man den Namen und das Programm „Volksbewegung zur Wiedereinführung der Monarchie“. Etwas abgedrehteres als diesen Widerspruch können sich weder die Computerfreaks noch Simon vorstellen und darum geht es ja letztendlich: Die Partei muss so widersinnig sein, dass niemand auch nur im Traum auf den Gedanken kommt, dass irgendjemand oder gar die Mehrheit sie tatsächlich gewählt haben könnte. Nur so kann man den Betrug aufdecken. Alles läuft nach Plan - bis Simon wirklich König von Deutschland wird.
Andreas Eschbach entwirft wie in „Ausgebrannt“ ein realitätsnahes Szenario. Eine Welt, in der nur eine winzige Kleinigkeit anders ist. Der Daseinszweck von Computern ist es, Daten aufzunehmen, zu speichern und zu verwalten. Datensicherheit bedeutet, verhindern, dass jemand Unbefugtes die Daten verändert. Aber wie erkenne ich, dass jemand unbefugt ist, wenn die einzige Kommunikationsmöglichkeit aus einer Folge von Einsen und Nullen besteht? Kann es Sicherheit vor Datenmanipulation geben, wenn das Speichermedium geradezu dazu entwickelt wurde, Datenveränderungen zu ermöglichen? Das ist das eine Thema des Romans. Das andere geht tief in die menschliche Psyche. Wie schwer ist es, der Macht zu widerstehen, wenn man praktisch vor die Füße gelegt bekommt. Und wieweit ist der heutige Mensch, gewöhnt an die Welt mit realitätsnahen Filmen zwischen Nachrichtenblöcken und Computerspielen, die immer natürlicher werden, überhaupt noch in der Lage und willens, eine offensichtliche Manipulation zu erkennen?
Das Buch geht aus zwei Gründen unter die Haut: zum Ersten, weil das Szenario sehr dicht an der Welt ist, die wir kennen. Es wäre vielleicht doch irgendwie möglich. Zum Zweiten, weil es einfach so gut geschrieben ist, dass die Seiten und Buchstaben manchmal verschwinden und die Welt dahinter sehen lassen.
Auf keinen Fall anfangen zu lesen, wenn noch ein wichtiger Termin ansteht.
Andreas Eschbach: Ein König für Deutschland.
Lübbe, September 2009.
491 Seiten, Hardcover, 19,99 Euro.
