60 Jahre nach Samuel Beck Becketts „Warten auf Godot“ gibt es eine Variante dieses Stoffes: In seinem neuen Roman „Landesbühne“ erzählt Siegfried Lenz (83) von Menschen, die auf etwas warten, um ausbrechen zu können, und sich die Zeit mit fantasievollem Spiel vertreiben.
Hannes und der Professor Clemens sind Lenz‘ Estragon und Wladimir. Sie sitzen im Gefängnis – Hannes, weil er als falscher Polizist Bußgelder kassiert hat, Clemens, weil er seine Studentinnen das Examen im Bett bestehen ließ. Als der Theaterbus der Landesbühne im Gefängnis gastiert, kapern ihn ein Dutzend Insassen, werden zu Schauspielern und Stars bei einem Volksfest in der norddeutschen Provinz. Dort ist das Spiel bald aus, der Gefängnisalltag hat die Lebenskünstler wieder.
Das Schlemenstück, ein kleiner Novellen-Roman, hat nicht die Kraft von Lenz‘ vor einem Jahr erschienenen Liebesroman „Schweigeminute“. Es ist ein leises, unaufgeregt und mit feinem Humor geschriebenes Buch eines großen Erzählers. Ein bisschen ist diese „Landesbühne“ auch Lebensbühne von Siegfried Lenz. Das Credo der Novelle, dass man mit Geschichtenerzählen aus dem Alltag flüchten kann, in Fantasie Trost findet und Kunst Freiheit bedeutet, ist auch das Credo von Lenz‘ 58 Jahre währenden Arbeit als Autor.
Altersweise und humorvoll blickt der 83-Jährige auf nur 120 Seiten auf die Bühne des Lebens. Völlig gewaltfrei geht sein kleiner Krimi über die Bühne – fast wie ein inszeniertes Theaterstück, in dem Leben, Spiel, Bühne und Realität wie im Traum verwischen. Ein Plädoyer für Freundschaft, Menschlichkeit, Kunst und die Freiheit – auch in Zeiten von Schicksalschlägen. All die Dinge, die dem ostpreußischen Autor immer wichtig waren, und die Lenz wie in einem literarischen Vermächtnis hier noch einmal zusammenfasst.
Meisterlich und mit philosophischer Tiefe erzählt er die Novelle, in der verschmitzte Heiterkeit wie die auf dem Volksfest in Grünau mit feiner Satire auf das Provinzleben und berührenden Szenen in der Zelle wechseln.
Hannes und Clemens trinken am Schluss auf ihr Zusammensein. Sie merken „alle müssen irgendwas aushalten“. So warten sie weiter in ihrer Zelle. – Auf einen Godot, der bei Siegfried Lenz die Kunst ist.