Prag, 1898: Die junge Milena ist die Tochter des verstorbenen Marionettenmeisters und fühlt sich noch immer magisch von den an Schnüren befestigten Puppen angezogen. Stets kommt es ihr so vor, als würden die Figuren zu wirklichem Leben erweckt werden, sobald die Vorstellung beginnt. Da ihre Mutter verschwunden ist, lebt Milena bei der Oma und wird zudem von ihren beiden Tanten umsorgt. Das Geld reicht dennoch kaum zum Leben und Milena begegnet der Armut an jedem einzelnen Tag. Während Milena sich an die Hoffnung klammert, dass ihre Mutter wieder auftaucht, erscheint ein Marionettenmeister in der Stadt, der das alte Theater in Betrieb nimmt und die Menschen in seinen Bann schlägt. Hat Milena erneut nur das Gefühl, die Puppen seien lebendig, oder sind sie es diesmal wirklich? Der Marionettenmeister webt ein dunkles Netz um die Stadt und Milena befindet sich mittendrin in diesem Abenteuer.
Obwohl die Autorin Joanne Owen nicht tschechischer Abstammung ist, macht ihr Buch den Eindruck, dass sie sich in Legenden und Märchen des Landes sehr gut auskennt. Jugendgerecht vermittelt sie ihr Wissen, ohne dabei den roten Faden der Geschichte aus dem Auge zu verlieren oder ihren Roman zu einer langweiligen Legendensammlung zu machen. Vielmehr ist »König der Marionetten« ein gelungener Jugendroman mit stetig ansteigender Spannungskurve und düsterer Atmosphäre. Die einbezogenen Märchen haben – in leichter Abänderung – Einfluss auf die Geschichte und werden in ihrem Rahmen nacherzählt, etwa als Teil von Milenas Schullektüre.
Der historische Kontext wird auf allen Ebenen aufrechterhalten. Die Beschreibungen vermitteln einen authentisch wirkenden Eindruck des ärmlichen Lebens auf den Straßen und den Lebensumständen in der Stadt zum Ende des 19. Jahrhunderts. Redebeiträge der Charaktere schließen sich dem an, sind nicht etwa von Formulierungen aktueller Jugendsprache durchzogen, sondern passen sich der Umgebung an und gehen ganz in ihr auf.
Abgerundet wird dieses Bild durch einen Anhang, in dem auf die tschechischen Namen, verwendeten Fremdwörter und regionalen Gegebenheiten eingegangen wird und die Legenden der Libussa, die das Buch prägen, näher erläutert werden.
Die Geschichte mag einfach gestrickt zu sein und fesselt dennoch ungemein. Stellenweise wird den Lesern und Leserinnen ein Schauer über den Rücken laufen, denn die zum Leben erwachenden Marionetten vermögen zu faszinieren. Obwohl die Rollen von den Guten und Bösen klar verteilt sind, bleiben die Auflösung und der Ausgang der Geschichte bis zuletzt ungewiss, so dass sich für die Altergruppe ab zwölf Jahren ein schauriger Roman mit bildhafter Sprache und fesselnder Handlung ergibt.
Zu erwähnen bleibt noch die tolle Gestaltung dieses Buches. In dem Halbleinen-Hardcoverband finden sich durchweg gelungene, farbige Illustrationen, die das düstere Image der Geschichte unterstützen. Ein kurzer Hinweis im Anhang lässt einiges an Arbeit vermuten, die in diese Bebilderung geflossen ist. Der Roman erhält so das Aussehen eines ‚alten’ Buches, sieht verwegen aus und wird zum Highlight für Sammler.
»König der Marionetten« wirkt wie ein Märchen, ist dabei gleichfalls fesselnd wie ein Krimi. Eine spannende Geschichte, aufwendig verpackt und toll geschrieben!
Joanne Owen: König der Marionetten.
Loewe, September 2009.
210 Seiten, Gebundene Ausgabe, 14,90 Euro.