Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Das Leben der 16-jährigen Rebecca wird gänzlich auf den Kopf gestellt, als sie in der U-Bahn einem Fremden begegnet. Der dunkelhaarige Junge ist etwa in ihrem Alter und kann sich an nichts aus seinem bisherigen Leben erinnern. Das muss wohl eine Amnesie sein, stellt Rebecca vorerst fest. Doch dann wird ihr Lucian, wie er sich schließlich nennt, unheimlich. Nachts träumt er von ihr und kennt Erinnerungen aus ihrer Kindheit, die sie selbst fast vergessen hatte. Ist er ihr Klassenkamerad Leon, den sie seit einigen Jahren aus den Augen verloren hat? Oder birgt Lucian viel mehr Geheimnisse, als es auf den ersten Blick erkenntlich ist? Rebecca begibt sich auf die Suche und gerät immer mehr in den Bann dieses Jungens, der sie schier magisch anzieht …
Zwischen den Seiten wird ein Mädchen lebendig, Rebecca mit ihrem verrückten Teenagerleben, der homosexuellen Mutter und deren Partnerin Spatz, der Freundin Suse und ihren kleinen, liebenswerten Macken. Die witzigen Irrungen und Wirrungen des Aufwachsens kommen hier keinesfalls zu kurz und insbesondere Suse ist für einige Lacher gut! Für junge Leserinnen entsteht durch die beiden Freundinnen ein hochgradiges Identifikationspotential, denn zumindest ein oder zwei der Probleme der Mädchen kennen sie sicher aus ihrem eigenen Leben.
Mit einem aufmerksamen Blick und feinfühligen Formulierungen und wird eine ganze Reihe von Liebesgeschichten vorgestellt, von denen jede eine besondere, nicht immer positive Form der Liebe zeichnet. Zwischen wirklicher Partnerschaft und reinem Interesse am Körper der anderen Person sind alle Facetten vertreten und finden in der Geschichte einen schlüssigen Platz, so dass keine von ihnen aufgedrückt wirkt. Liebe zu Geschwistern, Ehepartnern, Lebensgefährten, Seelenverwandten und ja, sogar der Literatur. Rebecca selbst sticht mit ihrem Lucian bis zur letzten Seite durch Besonderheiten und Geheimnisse heraus, die Liebe dieser beiden steht deutlich im Mittelpunkt.
Etwas langsam kommt ihre Geschichte mit dem unbekannten Jungen ins Rollen, eigentlich viel zu lange tappt man als Leser gänzlich im Dunkeln und wälzt ständig die gleichen Überlegungen – landet aber mit großer Wahrscheinlichkeit auf einem Holzweg, denn Isabel Abedis Idee ist letztlich originell und prägt insbesondere den dritten und letzten Abschnitt des Buches. Zwischen den Startschwierigkeiten und diesem auflösenden Teil befinden sich einige Seiten, die durch Emails ihrer Freunde Rebeccas aktuelles Leben schildern, gelungene und unterhaltsame Abwechselung wird hier in den Fließtext eingebaut! Der letzte und abschließende Bruchteil des Buches vermag es sogar, mit berührenden Worten nahe zu gehen, wie es sonst kaum ein Jugendbuch mit Fantasy-Thematik vermag. Nicht nur deshalb eignet sich »Lucian« auch für solche Leserinnen, die mit Fantasy nicht viel am Hut haben.
»Lucian« spricht vor allem Leserinnen ab 15 Jahren an und bietet lang anhaltenden Lesespaß, der nach Startschwierigkeiten zu überraschen und verzaubern weiß.