Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
Tom Jones ist ein Findelkind, das dem Landedelmann Allworthy eines Tages ins Bett gelegt wird. Er wird aufgenommen, wĂ€chst gesund heran und verliebt sich in die Tochter des Nachbarn. Die darf er natĂŒrlich nicht haben, schlieĂlich ist sie von edler Abkunft und er ein Findling. Es kommen ein bösartiger Ziehbruder, gehĂ€ssige und wohlmeinende Tanten und Schwestern, tapfere und feige Soldaten, schmierige Wirtinnen, hingebungsvolle DorfmĂ€dchen vor. Kurz: Alle Handelnden, die auch ein Groschenroman, der auf sich hĂ€lt, haben wĂŒrde. Aber die trivial anmutende Geschichte dient Henry Fielding nur zu dem, was seinen Roman zu einem Klassiker und zu etwas ziemlich Einmaligen macht. Der stĂ€ndig in den Vordergrund drĂ€ngende ErzĂ€hler ist nicht nur allwissend, sondern auch noch allwertend und der Autor scheut sich auch nicht, dem Leser ausfĂŒhrlich darzulegen, warum er dies beschreibt und das auslĂ€sst. Dabei spart er nicht an Spitzen gegen Autorenkollegen und UmstĂ€nde seiner Zeit. So ist der Roman weniger die ErzĂ€hlung der Geschichte von Tom und Sophia als vielmehr ein giftiges Gesellschaftsbild des Englands des 18. Jahrhunderts. AusgefĂŒhrt als eine Art episches Theater in Romanform. Denn der Leser soll nicht in der Geschichte versinken, wird im Gegenteil immer wieder bewusst aus ihr herausgerissen und ĂŒber die BeweggrĂŒnde der Protagonisten belehrt. Dabei ist âTom Jonesâ zwar anstrengend, aber nicht eine Sekunde langweilig.
Knapp tausend Seiten sind zu bewĂ€ltigen. Tausend Seiten, die sich nicht einfach lesen, obwohl die Sprache in der Ăbertragung von Siegfried Lang angenehm ĂŒberraschend modern ist. Aber es sind auch tausend Seiten, die auĂerhalb der erzĂ€hlten Geschichte etwas anrĂŒhren, etwas bewirken. WĂ€hrend des Lesens ist mir aufgefallen, dass ich hinterher immer ganz entspannt und richtig gut drauf war. Dabei bin ich fĂŒr solche Auswirkungen von Text, Malerei oder Musik eigentlich ausgesprochen unempfĂ€nglich.
Auf seine ganz eigene Art ist das Buch zeitlos. Zwar ist die Umgebung anders, sind die gesellschaftlichen Voraussetzungen anders als heute, aber die Menschen und ihre Motive, die sind so furchtbar anders nicht. Eigentlich schade, dass man heutzutage keine so brutal olympischen Romane mehr schreibt.
Henry Fielding: Tom Jones (1749).
Insel, 2006.
1228 Seiten, Taschenbuch, 18 Euro.