Das mit 328 Seiten dickste Buch unseres Verlagsprogramms ist die Vampiranthologie "Ganz schön bissig ..." - die 33 besten Geschichten aus 540 Einsendungen.
Tom Jones ist ein Findelkind, das dem Landedelmann Allworthy eines Tages ins Bett gelegt wird. Er wird aufgenommen, wächst gesund heran und verliebt sich in die Tochter des Nachbarn. Die darf er natürlich nicht haben, schließlich ist sie von edler Abkunft und er ein Findling. Es kommen ein bösartiger Ziehbruder, gehässige und wohlmeinende Tanten und Schwestern, tapfere und feige Soldaten, schmierige Wirtinnen, hingebungsvolle Dorfmädchen vor. Kurz: Alle Handelnden, die auch ein Groschenroman, der auf sich hält, haben würde. Aber die trivial anmutende Geschichte dient Henry Fielding nur zu dem, was seinen Roman zu einem Klassiker und zu etwas ziemlich Einmaligen macht. Der ständig in den Vordergrund drängende Erzähler ist nicht nur allwissend, sondern auch noch allwertend und der Autor scheut sich auch nicht, dem Leser ausführlich darzulegen, warum er dies beschreibt und das auslässt. Dabei spart er nicht an Spitzen gegen Autorenkollegen und Umstände seiner Zeit. So ist der Roman weniger die Erzählung der Geschichte von Tom und Sophia als vielmehr ein giftiges Gesellschaftsbild des Englands des 18. Jahrhunderts. Ausgeführt als eine Art episches Theater in Romanform. Denn der Leser soll nicht in der Geschichte versinken, wird im Gegenteil immer wieder bewusst aus ihr herausgerissen und über die Beweggründe der Protagonisten belehrt. Dabei ist „Tom Jones“ zwar anstrengend, aber nicht eine Sekunde langweilig.
Knapp tausend Seiten sind zu bewältigen. Tausend Seiten, die sich nicht einfach lesen, obwohl die Sprache in der Übertragung von Siegfried Lang angenehm überraschend modern ist. Aber es sind auch tausend Seiten, die außerhalb der erzählten Geschichte etwas anrühren, etwas bewirken. Während des Lesens ist mir aufgefallen, dass ich hinterher immer ganz entspannt und richtig gut drauf war. Dabei bin ich für solche Auswirkungen von Text, Malerei oder Musik eigentlich ausgesprochen unempfänglich.
Auf seine ganz eigene Art ist das Buch zeitlos. Zwar ist die Umgebung anders, sind die gesellschaftlichen Voraussetzungen anders als heute, aber die Menschen und ihre Motive, die sind so furchtbar anders nicht. Eigentlich schade, dass man heutzutage keine so brutal olympischen Romane mehr schreibt.
Henry Fielding: Tom Jones (1749).
Insel, 2006.
1228 Seiten, Taschenbuch, 18 Euro.