Herta Müller: Der König verneigt sich und tötet (2003)
„Der König verneigt sich und tötet“ ist ein Buch über das Schreiben, ein Buch voller autobiographischer Erzählungen, ein Buch voller Essays über Sprache, Schweigen und Angst.
Aufgewachsen ist Herta Müller als deutschsprachige Rumänin in einem von Landwirtschaft bestimmten Dorf, in dem der Zwang des Handelns kaum mehr als Schweigen zuließ. Im Laufe es Buches stellt sich heraus, dass es nicht nur die Härte der Arbeit die Menschen verstummen ließ, sondern auch die Beschädigungen des Zweiten Weltkriegs die Seelen sich vor Mitteilung verkapseln machte. Sie selbst von Kindheit an sprachbegabt, begibt sich auf die Suche nach der richtigen Benennung für die Dinge, nach ihrem wahren Namen. Später in ihrer Zeit in der Stadt und heute in Deutschland lernt sie noch ganz andere Verwendungen von Sprache kennen, aber nie scheint ihre Suche nach dem wahren Namen der Dinge zu einem Ende zu kommen.
Essayistische Überlegungen wechseln sich ab mit Beispielen, mit Erzählungen aus ihrem eigenen Erleben und doch macht sie klar, dass die Erzählung, das Wiedergeben des Vergangenen, nur Worte bleiben können und das wirkliche Geschehen nur abbilden, nicht für den Leser wiederholen, selbst erlebbar machen können. Ihr Leben, ihr Schreiben sei nach wie vor geprägt von der rumänischen Diktatur, müsse sich rechtfertigen vor den toten Freunden, die Worte in ihrem Kopf seien weder unbelastet noch seien sie so vorgeprägt, wie sie für einen geborenen Westdeutschen belegt seien. Allein diese Erkenntnis, was Sprache für einen selbst bedeutet, und wie sie in Denken, Handeln und Schreiben hineinwirkt, diese Reflexion, das Aushalten und Weiterschreiben der Autorin während dieses Begreifens fand ich zutiefst bewundernswert. Das Buch steigert sich von Kapitel zu Kapitel, beschreibt wie das ureigenste Besitztum jedes Menschen, die Muttersprache, missbraucht wird, für das Individuum nicht mehr sprechbar wird, obwohl sich alle um ihn herum in dieser Sprache verständigen, wie Dinge durch Sprache verfremdet werden. Sich dem zu stellen, die damit verbundene Ohnmacht, die in der Unvollständigkeit des geschriebenen Wortes liegt, deutlich zu erkennen und trotzdem immer weiterzumachen, hat meine Bewunderung errungen.
Fazit: Unbedingt lesenswert - weckt Neugier auf Herta Müllers Romane und gibt im erzählerischen Teil Einblick, wie Sprache in Diktaturen funktionalisiert wird.
Herta Müller: Der König verneigt sich und tötet (2003).
Fischer Tb., 2008.
203 Seiten, Taschenbuch, 9,95 Euro.