Ulf Schiewe: Der Bastard von Tolosa
Jaufré de Montalban sitzt in der Turmkammer auf seiner Burg Rocafort und wartet auf den Schreiber, den er bestellt hat, um sein Testament aufzugeben. Er ist nicht alt, ein rüstiger Fünfziger, doch was er weiterzugeben hat, ist sehr wichtig für seinen Sohn Raol, den er seit zwanzig Jahren nicht gesehen hat.
Als schließlich der junge Mönch Aimar eintrifft, beginnt Jaufré zu erzählen und nimmt uns mit in seine bewegte Vergangenheit. Als junger Mann, tief getroffen vom Verlust seiner Geliebten und nachdem er von Mutter und Onkel in die Ehe mit einem ungeliebten Edelfräulein gezwungen wurde, ging er als Kreuzritter nach Outremer, um Jerusalem zu befreien. Vierzehn Jahre blieb er, erlebte unendliches Leid, Gewalt, Entbehrungen; fand aber in Noura die große Liebe, bevor er nach Nouras Tod mit seiner Tochter Adela und seinem Freund Hamid in die Provence zurück reist. Doch dort erwarten ihn einige Überraschungen. Sein Weib Berta ist im Begriff, einen anderen zu heiraten, sein Dorf und seine Burg sind bedroht und schließlich trifft auch noch sein erbittertster Feind aus seiner Zeit in Outremer ein ...
Das Buch mit seinem Einband in einem warmen Ocker, auf dem ein goldener Ring abgebildet ist, hebt sich auf den ersten Blick von den vielen abgeschnittenen Frauenbildnissen in Rot und Grün ab, die derzeit bei der Covergestaltung in Mode sind. Nicht ganz handtaschentauglich von Format und Gewicht, wird der Leser jedoch eher Urlaub nehmen oder die Bürotaschen umpacken, als das Buch nur abends daheim zu lesen. Denn wenn man angefangen hat, möchte man sich am liebsten einschließen und es nicht mehr aus der Hand legen. Jaufré nimmt uns als Ich-Erzähler mit auf eine abenteuerliche Reise. Wir sehen mit seinen Augen, wie es in der miles christi zuging, und wie wenig glanzvoll der Krieg in Wirklichkeit war. Desillusioniert, müde, gefühlskalt kehrt Jaufré zurück und muss sich seiner Vergangenheit stellen. Sein Sohn, für den er sich nie interessiert hat, begegnet ihm feindselig. Berta, seine Frau, hat nur mit Mühe und Not das Dorf am Leben halten können und die Burg ist hoch verschuldet.
Der Autor hat ausführlich recherchiert und bietet dem Leser hautnahe Einblicke in das Leben in Outremer. Besonders die Zerrissenheit des Landes, das seit zweitausend Jahren von drei Religionen beansprucht wird, ist sehr gut herausgearbeitet und regt dazu an, sich tiefer in die Materie einzulesen. Der Kontrast zwischen der westlichen und östlichen Kultur, den Jaufré erlebt und verarbeitet, um schließlich davon zu lernen und neue Erkenntnisse in sein Dorf mitzunehmen, regt zum Nachdenken an. Insbesondere sein Freund Hamid, ein „Heide“, aber weit gebildeter als die christlichen Eroberer, macht diese Kluft spürbar. Immer wieder ist er es, der mit seinen messerscharfen Bemerkungen Jaufrés Weiterentwicklung beeinflusst.
So unterhaltend und spannend es ist, hat mir das Buch auch viele Denkanstöße gegeben. Historische Romane mit männlichen Hauptfiguren sind leider selten, warum eigentlich? Ich für meinen Teil bin gerne mit Jaufré mitgegangen und habe mit ihm gelitten, mich mit ihm gefreut, um ihn gebangt, und seine Liebe zu seinen Frauen erlebt. Leider sind auch 928 Seiten irgendwann zu Ende. Aber man kann ja wieder von vorne anfangen.
Der Autor ist zwar Jahrgang 1947, dennoch ein „Junger Autor“, dies ist sein erster Roman. Ob der Qualität des Buches, was sowohl die Sprache, als auch Figuren, Dialoge und Handlungsaufbau betrifft, kann man das kaum glauben. Das Buch ist gespickt mit Sätzen und Wörtern in historischem Provenzalisch, was mir das Gefühl gab, wirklich dort zu sein.
Der Verlag hat nicht nur Karten von Outremer und von den Corbieras bereit gestellt, sondern auch ein Lesezeichen mit Personenverzeichnis und kurzem Interview mit dem Autor.
Ich möchte mich beim Verlag bedanken, der den Mut hatte, einen unbekannten Autor anzunehmen und sein Werk in dieser aufwendigen Aufmachung auf den Markt zu bringen. Und ich hoffe, dass wir noch weitere Bücher von Ulf Schiewe zu lesen bekommen werden!
Ulf Schiewe: Der Bastard von Tolosa .
Droemer, November 2009.
928 Seiten, Hardcover, 22,95 Euro.
Susanne Ruitenberg
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