Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Auf die Frage nach möglichen amerikanischen NobelpreistrĂ€gern antwortete Jonathan Franzen in einem Interview in der Zeit: âIch denke vor allem an die Kanadierin Alice Munro, mit der es auf diesem Planeten allenfalls eine Handvoll Schriftsteller aufnehmen kann. Sie hat im Bereich der Kurzgeschichte Tschechow ĂŒbertroffen, und der war nicht gerade ein AnfĂ€nger.â
Wer âTanz der seligen Geisterâ liest, wird sehr schnell feststellen, dass diese wunderschöne bibliophile Ausgabe mit fĂŒnfzehn meisterlichen ErzĂ€hlungen, höchsten literarischen AnsprĂŒchen mehr als gerecht wird.
Fast alle ErzÀhlungen von Alice Munro sind im Kleinstadtmilieu ihrer kanadischen Heimat Huron County angesiedelt. Den Ort Jubilee hat ist wohl allerdings fiktiv gewÀhlt.
Die Geschichten handeln zumeist vom Erwachsenwerden ĂŒberwiegend weiblicher Protagonistinnen.
In der ErzĂ€hlung âJungen und MĂ€dchenâ lernen wir ein MĂ€dchen kennen, das wie einst auch Alice Munro selbst, auf einer Silberfuchsfarm in Ontario aufwĂ€chst. Hier begegnen uns z. B. SĂ€tze wie: âWir hatten nicht vor dem DrauĂen Angst, obwohl das die Jahreszeit war, in der sich Schneewehen wie schlafende Wale um das Haus legten und der Wind, der von den begrabenen Feldern, dem gefrorenen Sumpf und seinem Schreckgespenstergeheul von Gefahren und Elend kam, uns die ganze Nacht lang plagte.â Dank ihrer auĂerordentlichen Sprachkunst versteht es die Autorin, viele weitere derartig eindrucksvolle Bilder zu vermitteln und ihre LeserInnen zu faszinieren.
Munro greift in ihren Geschichten das auf, was Menschen bewegt. In der Geschichte âDer Walker Brothers-Cowboy schreibt sie von einem Handelsvertreter, der an einem Tag seine kleine Tochter und den jĂŒngeren Bruder auf eine seiner GeschĂ€ftsreisen mitnimmt. Die Beobachtungen und Empfindungen die das MĂ€chen dabei erfĂ€hrt, lassen den Vater zu einem Mann werden, den sie bislang so nicht gekannt hat. Das MĂ€dchen weiĂ, dass es dieses andere Vaterbild und die Geschehnisse von diesem Tag fĂŒr sich behalten muss.
Andere ErzĂ€hlungen behandeln die Enkelin und ihre ĂŒbermĂ€chtige GroĂmutter, zwei schrullige alte Damen, das MĂ€dchen, das zu ihrem ersten Ball geht, oder die Bewohner einer neuen Siedlung, die sich an dem heruntergekommenen Haus einer alten Frau stören...
Munro ist eine feinsinnige Beobachterin, die es versteht, die Seelen ihrer Figuren nach auĂen zu kehren und uns damit zu rĂŒhren ohne in SentimentalitĂ€t zu verfallen. PrĂ€zise, abgrĂŒndig und mit Liebe zum Detail lĂ€sst sie uns teilhaben am Alltagsleben ihrer Figuren, die sich mit tief verwurzelten BrĂ€uchen, Traditionen und Wertvorstellungen der lĂ€ndlichen Regionen auseinandersetzen. Dabei zeigt die Autorin Ă€uĂerst komplexe Darstellungen des Dilemmas der Wahrung fest verankerter lokaler Traditionen auf Kosten der persönlichen Verwirklichung auf. Ihr Stil setzt das Fantastische neben das Gewöhliche und lĂ€sst beide SphĂ€ren durchdringen.
Vor allem aber ist es Munros kluge und gewaltige poetische Sprache, die nachhaltig wirkt;
â die hervorragende Ăbersetzung ins Deutsche ist der Verdienst von Heidi Zerning.
Alice Munro wurde 1931 in Ontario geboren, heute lebt sie in Ontario und British Columbia. Alice Munro gehört zu den renommiertesten Autorinnen der Gegenwart. Sie hat zahlreiche ErzĂ€hlungsbĂ€nde und einen Roman veröffentlicht. FĂŒr ihr umfangreiches Werk wurde sie mit unzĂ€hligen Preisen ausgezeichnet.
âTanz der seligen Geisterâ war Munros DebĂŒtband, der 1968 erschien und hiermit nun erstmals auf Deutsch vorliegt.
Alice Munro: Tanz der seligen Geister.
Dörlemann, Februar 2010.
384 Seiten, Duo-Leinen mit Leseband, 23,90 Euro.