Martin Mosebach: „Was davor geschah“ ist ein episches Gesellschaftpanorama.
Es ist die Frage, die eine junge Liebe wieder töten kann, die aber jede(r) irgendwann mal stellt: „Wie war das eigentlich mit dir, bevor wir uns kannten?“
Das macht neugierig im Klappentext von Martin Mosebachs neuem Roman. Und dann erzählt der Büchner-Preisträger „Was davor geschah“, aber nicht das, was alle erwarten.
Ein namenloser Mann erzählt seiner namenlosen Geliebten, die diese Frage gestellt hat, von dem halben Jahr, das er vor dem Kennenlernen allein in Frankfurt verbracht hat. Aber er erzählt nicht von sich, sondern von zwei anderen Paaren, aus denen schließlich ein neues Paar wird. Aus Hans-Jörg und Silvi und Bernward und Rosemarie wird Bernward und Silvi. Freundin Helga versucht zu vermitteln, und Mosebach lässt auch einen Haufen von Nebenfiguren aufmarschieren. Ein episches Gesellschaftspanorama entwirft der 59-jährige Frankfurter, zum Teil ein verzwicktes. Und am Schluss ein verstörendes, wenn der Roman so abrupt endet, dass man meinen könnte, der Verlag hätte vergessen die letzten Seiten zu drucken.
Es fällt nicht ganz leicht, sich in das Buch hineinziehen zu lassen. Erzählebenen und Perspektiven wechseln wie die Liebhaber, und der Ich-Erzähler fabuliert ausschweifend zwischen Dichtung und Wahrheit in einem phantastischen Gesellschaftstheater. Ein typischer Mosebach ist die schöne Sprache des großen Erzählers.
Vielleicht ist „Was davor geschah“ eine Fortsetzung von Mosebachs Novellen-Roman „Der Mond und das Mädchen“, der vor drei Jahren, im Jahr des Büchner-Preises für Mosebach, erschien und federleicht vom jungen, frisch verliebten Paar Hans und Ina in einer Mansardenwohnung erzählt. Wie viel Hans im Ich-Erzähler und wie viel Ina in der Fragestellerin steckt, bleibt Mosebachs Geheimnis. Und auch, wie viel Hans-Jörg in seinem Erzähler verborgen ist.
Mosebachsche Leichtigkeit hat der Roman auch, aber Heiterkeit im Erzählton wird immer wieder ganz schnell von der zerstörerischen Kraft, die die Liebe der beiden Paare hat, erstickt.
Martin Mosebach: Was davor geschah.
Hanser, August 2010.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 21,90 Euro.