Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
Ähnlich wie bei Patrick Süskinds „Parfum“ geht es auch hier um die olfaktorischen Schrecken einer Großstadt ohne Kläranlagen. London Mitte des 19. Jahrhunderts: ein verwinkeltes System maroder Abwasserkanäle breitet sich unter der Stadt aus, zieht zwielichtige Gestalten an wie den Sammler Tom, der im Dreck nach Verwertbarem sucht. Auch William May, der bei der Abwasserbehörde als Vermesser arbeitet, taucht in die Kanäle ab, um sein schweres Kriegstrauma zu vergessen. Doch er verfängt sich hoffnungslos in seinen eigenen seelischen Abgründen und den Intrigen korrupter Baubürokraten. Als dort unten ein Mord passiert, gerät er in Verdacht ...
Ein Krimi ist der Roman allerdings nicht, eher die psychologische Studie eines psychisch Labilen inmitten einer historischen Kulisse, für die gründlich recherchiert wurde. Sehr drastisch beschreibt die Autorin Dreck, Gestank und Elend. Da wälzt sich die Themse „mit breitem, braunem Grinsen“ als „großer offener Strom aus Scheiße mitten durch die Hauptstadt“, da waten die Figuren knietief durch die Kloaken, und auch sonst wird nichts Düster-Morbides ausgelassen: Ratten, Hundekämpfe, Elendsquartiere, Irrenhäuser und Gefängnisse - manchmal etwas zu viel des Schlechten. Der Originaltitel heißt dann auch „The Great Stink“, und man hat bisweilen den Eindruck, Clark geht es mehr um „Fäkalromantik“, um die Lust eines Autors, verbal und gedanklich in Modder und Scheiße aller Art zu wühlen.
Trotzdem sind ihr in William und Tom facettenreiche Charaktere gelungen, die Zustände im alten London sind manchmal zu ausufernd, doch im Allgemeinen lebendig und anschaulich beschrieben. Sprachlich eher konventionell, erreicht sie leider nicht die Dichte von Süskinds Buch. Ein guter Unterhaltungsroman für Leser mit Sinn fürs Makabre und Morbide.
Clare Clark: Der Vermesser.
Heyne, München, Februar 2007.
415 Seiten, Taschenbuch.