Als Findelkind lebte Nyssa Jahre lang zufrieden in einer Schenke bei Ziehvater William. Doch innerhalb eines Tages wird ihr Leben auf den Kopf gestellt! Stammbesucher Marius offenbart sich ihr als Onkel und erzählt die haarsträubende Geschichte des Schicksals ihrer Eltern. Nyssa ist hin- und hergerissen, entschließt sich dann aber doch, mit Marius vor den Schattenmännern zu fliehen. Diese suchen im ganzen Land nach Nachfahren und Anhängern der Hüter des Wissens, Menschen, die über enorme Wissensbestände verfügen können. Auch Nyssa gehört ihnen an und trägt am Kopf, unter langen Haaren verborgen, ein Tattoo, von dem sich der Weiße Wolf Alaric, der Anführer der Schattenmänner, grenzenlose Macht verspricht. Deshalb ist er seit Jahren auf der Suche nach Nyssa und ihr plötzlich dicht auf den Fersen. In diesem Tumult erfährt Nyssa, dass sie einen Zwillingsbruder hat, und dieser sich vermutlich seit zehn Jahren in der Gewalt des Weißen Wolfes befindet. Sie möchte alles daran setzen, ihn zu befreien.
Gill Arbuthnott ist britische Autorin zahlreicher Jugendromane, von denen »Tochter der Hüter« der erste auf Deutsch übersetzte ist. Sie entwirft eine fiktive Welt, in der die Hüter des Wissens zur Bedrohung eines tyrannischen Herrschers geworden sind, der nach und nach das ganze Land zu unterwerfen versucht. In den Mittelpunkt der Geschichte stellt die Autorin die vierzehnjährige Nyssa, ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen, das seine Eltern verloren hat und deshalb bereits in jungen Jahren tüchtig in einer Schenke mithilft. Sie weiß nichts über ihre Vergangenheit, wird aber immer wieder von seltsamen Träumen heimgesucht, in denen sich ihr Angst machende Handlungen beobachtet. Diese Träume quälen sie regelmäßig und sie weiß sich in ihrer Not nicht zu helfen. Erst als Marius sich ihr offenbart, wird Nyssa Vieles klar und sie ist neugierig auf die Legenden ihres Volkes und ihre eigene Vergangenheit. Als Leser und Leserin kann man deshalb gemeinsam mit ihr das Wissen der Hüter ergründen, was den Roman leicht zugängig macht.
Der Autorin gelingt es hervorragend, ihre Leser und Leserinnen für die Protagonistin und später ihre beste Freundin Aria einzunehmen. Besonders diese beiden sind sehr sympathisch gezeichnet, haben aber auch genügend Kanten und Fehler, um authentisch zu wirken. »Tochter der Hüter« ist vor allem ein Buch für Mädchen, selbst wenn die männliche Seite durch den Onkel Marius und Kit ebenfalls vertreten ist. Marius bleibt bis zum Ende am Rande und bildet er eine schützende Instanz, Kit hingegen ist lange Zeit stumm und zu Beginn sogar überhaupt nicht anwesend. Nyssa und Aria dominieren das Geschehen mit Entschlossenheit, Liebe und Freundschaft. »Tochter der Hüter« will vor allem eine Zielgruppe ab 14 Jahren ansprechen, kann aber durch die weitreichenden Legenden um die Hüter und ihr Land auch interessierte, ältere Fantasyleser ansprechen. Es kann in vielen Belangen als All-Age-Fantasy-Roman betitelt werden.
Die Geschichte ist durchweg spannend und ansprechend aufbereitet. Nie wird zu viel erzählt, aber auch nie zu wenig. Es bleiben immer ungeklärte Fragen offen und ab und an wird durch Perspektivwechsel neue Spannung eingebracht. So kann man etwa auch dem Weißen Wolf Alaric bei seinen Raubzügen und Planungen über die Schulter schauen und Kit beobachten, wie er durch dessen Palast irrt. Hinzu kommen eindrucksvoll umgesetzte Szenen aus der Vergangenheit, die in den Träumen Nyssas und Erzählungen Mariuses lebendig werden.
Im englischen Original hat die Autorin bereits einen zweiten Band zu Nyssas und Kits Abenteuern veröffentlicht. Der vorliegende Teil kann allerdings problemlos für sich gelesen werden und findet einen zufrieden stellenden Abschluss.
Rundum gute Unterhaltung – »Tochter der Hüter« ist ein wirklicher toller Fantasyjugendroman. Eine legendreiche Geschichte wird von der talentierten Autorin ansprechend und spannend umgesetzt – Mitfiebern garantiert!
Gill Arbuthnott: Tochter der Hüter.
Chicken House, November 2010.
400 Seiten, Gebundene Ausgabe, 17,95 Euro.