Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespĂŒrt.
Eleni lebt nach dem Tod ihrer Mutter bei Verwandten und fĂŒhrt dort kein leichtes Leben. Sie wird ausgenutzt und erhĂ€lt nur das Nötigste zum Ăberleben. Als der Gaukler Bertot in ihr Dort kommt, wittert sie ihre Chance. Das junge MĂ€dchen schlieĂt sich dem Mann und seinem Ăffchen an und zieht mit ihm in die Welt hinaus. Sie ahnt allerdings nicht, dass sie selbst das Schicksal dieser Welt fĂŒr immer verĂ€ndern wird. Denn Eleni ist im Jahr des Skorpions geboren, trĂ€gt wie der Tyrann an jedem FuĂ sechs Zehen und ist dazu bestimmt, ihr Land endlich von seiner Gewaltherrschaft zu befreien. Doch ihr dorthin ist noch weit und beschwerlich. Sie verliert bei einem Unfall ihre Haare und ist von diesem Zeitpunkt an gezeichnet. In dem blinden Janosch, dem Sohn einer Zigeunerin, findet sie einen wichtigen VerbĂŒndeten und setzt alles daran, ihren Mitmenschen zu Recht zu verhelfen. Nur mit der Prophezeiung um das Jahr des Skorpions will sie sich nicht einfach abfinden. Wie kann ein junges MĂ€dchen einen Tyrannen stĂŒrzen?
Gradlinig entwirft Isabell Pfeiffer die Geschichte eines jungen MĂ€dchens, dessen Schicksal allein durch eine Prophezeiung festgelegt ist. Eleni scheint auf die Geschehnisse wenig Einfluss zu haben, wehrt sich aber dagegen, nur ein Spielball zu werden. Sie recherchiert auf eigene Faust nach dem Verbleib ihres Freundes Bertot, als die beiden getrennt werden, und gibt nicht auf, sich gegen ihr Schicksal aufzulehnen. Sie lebt in einer Welt, die an das Mittelalter im orientalischen Raum erinnert. Die Rohstoffe sind knapp, viele Menschen kĂ€mpfen tĂ€glich ums Ăberleben, Technik sucht man vergebens und Karawanen und Zigeuner ziehen durchs Land. Speziell fantastische Vorkommnisse werden nicht explizit erwĂ€hnt, die Situation ist aber mit einem gewissen Zauber behaftet: Eleni kennt ihren Vater nicht, Vieles weist aber darauf hin, dass sie und der Skorpion vom gleichen Mann gezeugt wurden und dass sie genau deshalb dazu bestimmt ist, seine Gewaltherrschaft zu beenden. Dies tut sie ohne ZaubersprĂŒche, fliegende Besen oder magische Hilfe â nur mit ihren eigenen KrĂ€ften und den Menschen, die sie unterstĂŒtzen wollen.
Besonders in den Untertanen des Skorpions zeigt sich eine Vielfalt von Reaktionsmöglichkeiten auf eine Gewaltherrschaft und »Im Jahr des Skorpions« greift zahlreiche brisante Themen auf. Bertot steht fĂŒr Rebellion und versucht im Verlaufe des Romans an vielen Stellen, den Skorpion zu töten oder ihm zumindest zu schaden. Die Zigeuner haben sich zur Ignoranz des Herrschers entschieden, kennen aber die Worte der Prophezeiung und hoffen, wie so viele andere, dass sein Ende nah ist. ZusĂ€tzlich gibt es Millionen von Menschen, die er unterdrĂŒckt und auf die Befreiung warten. Isabell Pfeiffer gelingt mit den sehr unterschiedlich gestrickten Figuren ein Querschnitt durch (selbst aktuelle) Gesellschaft. Der interessanteste Punkt ist neben Eleni in der Tat Bertot. Er stellt eine vielfĂ€ltige Persönlichkeit dar und lĂ€sst durchleuchten, dass er eine Vergangenheit mit sich trĂ€gt. Die Leser und Leserinnen erfahren spĂ€ter, dass er sogar einmal der Freund des Skorpions war. Dadurch wird er in eine besondere Position gebracht und trotz der positiven Besetzung zu Beginn der Geschichte muss man mit Eleni gemeinsam seine LoyalitĂ€t anzweifeln.
Eleni selbst steht fĂŒr die klassische Figur eines Jugendromans rund um Abenteuer und Macht. Sie ist Waise, kann sich auf keine Verwandten mehr verlassen und muss alles aufgeben, was ihr einmal lieb war. Insbesondere in Bezug auf ihre Gewissenskonflikte gelingt es der deutschen Autorin, Eleni gut darzustellen. Es fĂ€llt leicht, mit zu fĂŒhlen und zu fiebern und sich auf die Seite des jungen MĂ€dchens zu stellen. Eleni ruft dabei zum gewaltlosen Widerstand auf und appelliert auch an ihre Zuhörer und Zuhörerinnen, nach anderen Lösungswegen als dem Mord an dem Skorpion zu suchen.
Angenehme LektĂŒre fĂŒr Leser und Leserinnen ab 13 Jahren. Isabell Pfeiffer zeigt in ihrer orientalisch angehauchten Fantasiewelt, welche Möglichkeiten der Auflehnung es gegen einen gewaltsamen Herrscher gibt und was ein junges MĂ€dchen ohne jegliche Mittel an Handlungsmöglichkeiten hat.
Isabell Pfeiffer: Im Jahr des Skorpions.
Dressler Verlag, Februar 2011.
348 Seiten, Gebundene Ausgabe, 15,95 Euro.