Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
Julie Orringers Debütroman "Die unsichtbare Brücke" - nach ihrem Erzählband "Unter Wasser atmen" - behandelt das grausame Schicksal der ungarischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt des 820-Seiten-Wälzers steht der junge Andras, der 1937 nach Paris reist, um dort Architektur zu studieren. Er verliebt sich in die schöne Tanzlehrerin Claire und zieht mit ihr nach Budapest, als Juden in Paris nicht mehr erwünscht sind. Doch in Ungarn wird alles - und das weiß man aus der Geschichte - noch viel schlimmer.
Der Roman der 1973 geborenen US-Amerikanerin ist atmosphärisch ausgesprochen stark, wenn es darum geht, das Paris der Vorkriegszeit, im späteren Verlauf das Budapest der Kriegsjahre oder die unmenschlichen Bedingungen für die jüdischen Männer in den Arbeitslagern abzubilden. Immer meint man als Leser, ganz dicht am Geschehen zu sein. Durch die Dramatik der Ereignisse während des Krieges gewinnt "Die unsichtbare Brücke" besonders in der zweiten Hälfte enorm an Spannung. Alle Details wirken ausgesprochen gut und sorgfältig recherchiert.
Etwas weniger überzeugend sind dagegen die Passagen, in denen es um die Liebesbeziehung von Andras und Claire sowie von Andras Bruder Tibor und Ilana sowie deren Beziehungen untereinander geht. Vieles daran wirkt so überbordend rein und gut, dass es zuweilen ganz nah in Richtung Kitsch abdriftet. Ein paar dunkle Seiten der Hauptprotagonisten hätten authentischer gewirkt und der Geschichte den Zuckerguss genommen, der sie an einigen Stellen allzu dick überzieht. Möglicherweise hat sich Julie Orringer aber genau damit schwer getan, weil die Vorbilder für Andras und Claire ihre eigenen Großeltern sind, wie sie in einer Danksagung am Ende des Buches erklärt. Trotz dieser leichten Abstriche ein lesenswertes Buch!
Julie Orringer: Die unsichtbare Brücke.
Kiwi, Februar 2011.
820 Seiten, Hardcover, 24,95 Euro.