Ich will es kurz machen, gleich zu Anfang. Das Buch hat mich auf faszinierende Weise überfordert. Das heißt, dass ich es, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, zur Hälfte gelesen und dann weggelegt habe, um es gleichzeitig absolut zu empfehlen. Es ging mir ungefähr so wie bei Stephen Hawkings „Kurze Geschichte zur Zeit“: zu Anfang geht es um „astrophysikalischen Kleinkram“, wohl auch zur Allgemeinbildung gehörend. Und plötzlich fühlt man sich nicht mehr dabei, quasi ausgeschlossen, weil die Grundlage, das Wissen, eben das Studium fehlt, um dem allen zu folgen. Edmund de Waal geht in seiner Familienchronik wunderbar vor, er spaziert durch die Geschichte, in dem er die dazugehörenden Orte, Villen, Paläste besucht – sofern die noch stehen - und die jeweiligen Epochen beschreibt. Und mehr; in einer unvergleichlichen Mischung zitiert, malt, fabuliert er Künstlerinnen und Künstler der dazugehörenden Zeit und lässt sie aufleben: da streift Proust durch die Zimmer, die über und über voll hängen mit Bildern und Gemälden von Morisot, Cassatt, Degas, Manet, Monet, Sisley, Pissarro und Renoir. Und wenn ich an dieser Stelle ganz ehrlich bin, dann weiß ich erst jetzt genau, dass es Manet und Monet gab. Das ist so peinlich wie berührend. Was ich sagen will, ist dies: alle die kunsthistorisch unterwegs sind, die interessiert sind an einer weiteren Familiengeschichte (Aufstieg und Fall) durch fünf Generationen Zeitgeschichte, von der belle Epoque bis zum Zusammenbruch durch Arisierung, die von unvorstellbarem Reichtum bis zum Ende im KZ lesen wollen, die sollten mitreisen zu den damaligen Kunsthauptstädten, wie Paris, Wien, Tokio London, etc….steigt alle ein, nehmt dieses Buch. Es ist eine Offenbarung für Kunstkenner und Geschichtslehrer. Edmund de Waal, mein Hochverehrter, ich war Ihnen nicht gewachsen – Sie haben mich besiegt – aber vielleicht doch nicht ganz. Ich weiß jetzt zum Beispiel was Netsuke sind – bin also gewappnet für eine mindestens 500 000€ Frage bei Günter Jauch.
Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen.
Zsolnay Verlag, August 2011.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,90 Euro.