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Kjersti A. Skomsvold: Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich
In ihrem Erstling „Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich“ beschert uns Kjersti A. Skomsvold das eigentümliche Dasein der Seniorin Mathea Martinsen. Außergewöhnlich ist, dass eine so junge Autorin über solch eine Fülle von ungewöhnlichen, phantasievollen Ideen und Lebenserfahrung verfügt und gleichzeitig zu einer solch klugen Umsetzung im Stande ist. Eine Geschichte voller Tiefe - gefühlvoll, anrührend und urkomisch gleichzeitig.
Mathea Martinsen lebt zurückgezogen in einem Randbezirk von Oslo. Ihre ganze Gedankenwelt kreist um ihren Mann Epsilon, der am ersten Tag seines Ruhestands verstorben ist. Ohne Epsilon kann Mathea noch weniger mit ihrem ohnehin schon ereignislosen Leben anfangen. Epsilon und Mathea kannten sich schon aus ihrer Schulzeit. Bereits damals war Mathea eine Einzelgängerin gewesen. Sie war ein Mädchen, die von Mitschülerinnen und Lehrern einfach nicht wahrgenommen wurde. Im Schulhof stand sie immer allein. Um nicht den Eindruck zu erwecken sich zu langweilen, versuchte sie in den Pausen Steine zu zählen. Während eines plötzlich aufgekommenen Gewitters passierte etwas eigentlich Unwahrscheinliches: Mathea wurde auf dem Schulhof zweimal hintereinander vom Blitz getroffen. - Dieser Moment bleibt die einzigste Begebenheit im Leben der Mathea Martinsen, an dem sie die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zog. Denn selbst als sie nach diesem Ereignis aus dem Krankenhaus entlassen wurde und sich wieder an ihren Platz im Klassenzimmer setzte, schienen sich weder Klassenkameraden noch Lehrer an diesen Unfall zu erinnern. Sie war wieder unsichtbar wie zuvor.
Lediglich Epsilon, der die Parallelklasse besuchte, kam in der Pause auf Mathea zu und bekundete seine Erleichterung, sie gesund wiederzusehen. Und noch etwas verriet Epsilon Mathea: Auch er zählte in den Pausen die Steine. Von da an gehörten Epsilon und Mathea zusammen.
Die Begebenheiten ihres langjährigen ehelichen Zusammenlebens, die Skomsvold schildert, sprühen vor Witz, obwohl es - hauptsächlich wegen des von Mathea ausgehenden Eigenbrötlertums, recht langweilig dahinplätschert.
Die Abstrusitäten im Leben von Mathea verstärken sich nach Epsilons Tod wie die Einsamkeit, die sie nun mehr denn je verspürt. Mathea strickt weiterhin Ohrwärmer, die einst Epsilons abstehende Ohren vor Kälte schützen sollten. Im Garten vergräbt sie für die Nachwelt eine Zeitkapsel, in die sie ihr Hochzeitskleid und Ohrwärmer legt.
Es ist ihre eigene Schüchternheit, die sie Zeit ihres Lebens nicht ablegen konnte, und die Mathea immer, auch noch im hohen Alter im Weg steht. Schließlich versucht sie ihre Hemmungen zu überwinden und besucht einen Seniorennachmittag in der Altersresidenz. Doch auch hier, unter scheinbar Gleichgesinnten, legt sich wieder eine Hülle über Mathea, die sie unsichtbar macht. Niemand nimmt von ihr Notiz. Der Nachmittag endet für Mathea frustrierend und unglücklich.
So traurig und bemitleidenswert Mathea Martinsens Leben einerseits ist, so humorvoll und mühelos erscheint es andererseits.
Die Autorin verfügt über ein beneidenswertes Gespür für Skurrilität und Dramatik. Nie wirkt die Geschichte unwirklich oder zu abstrus, nie überlappt das Traurige so sehr, dass die Wehmut beim Lesen überwiegt. Am Ende der Lektüre glaubt man, ein mehrere hundert Seiten dickes Buch verschlungen zu haben, jedoch ist es nur ein schmaler, fingerdicker Band, der einen reichen Inhalt vermittelt.
Kjersti Annesdatter Skomsvold wurde 1979 in Oslo geboren, wo sie bis heute lebt.
„Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich“ ist ihr erster Roman der mit dem Tarjei-Vesaas-Debütpreis ausgezeichnet und für den norwegischen Buchhändlerpreis nominiert wurde.
Kjersti A. Skomsvold: Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich.
Hoffmann und Campe, August 2011.
114 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.