Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
In dem Taschenbuch âGesammelte ErzĂ€hlungenâ von Carson McCullers (1917-1967) findet sich ein Kaleidoskop von AbgrĂŒnden, in denen sich die unterschiedlichsten Menschen befinden: Ein Jugendlicher macht sich in seinem Liebesschmerz den Ziehbruder zum Feind, oder ein Wunderkind kann am Klavier keine Wunder mehr vollbringen, oder ein junger Mann nimmt an einem Friedensmarsch teil, der keinen Frieden bringt, oder ein alkoholkrankes PĂ€rchen bemerkt, den Boden unter den FĂŒĂen verloren zu haben. Besonders stark ist die Geschichte "StĂŒck ohne Titel", in der ein Junge erwachsen wird.
Herkömmliche Regeln fĂŒr ErzĂ€hlungen bzw. Kurzgeschichten hat die Autorin ĂŒber Bord geworfen. Es fehlen konstruierte Spannungsbögen oder ĂŒberraschende Wendungen. Einzig das Schicksal der jeweiligen Figuren, die entweder gerade in ihren persönlichen Abgrund fallen oder sich kurz vor ihrem Absturz befinden, gilt ihr Augenmerk. Selten finden sich Charaktere, die so lebendig geschildert werden. Die LektĂŒre könnte man mit der Reise durch Zeit und Raum im Land der unbegrenzten Möglichkeiten vergleichen. Der Leser nimmt stets nur fĂŒr eine Weile am Leben der unterschiedlichsten âPersonenâ teil, um dann die NĂ€chste zu besuchen, ohne je ein vollstĂ€ndiges Bild ĂŒber ihr Leben zu erfahren. Distanziert und ohne ErklĂ€rungen im Hinblick auf die Motive schaut man den Menschen bei ihrem Scheitern zu. Weder Moral, gewollte Unterhaltung noch Botschaften lenken von diesem Scheitern ab. Ein glĂŒckliches Ende oder ein Hinweis auf ein solches wird ebenfalls nicht prĂ€sentiert. Carson McCullers Geschichten sind so lebendig und unverfĂ€lscht wie das wirkliche Leben mit allen Höhen und Tiefen, die jeder im Alltag erleben könnte.