Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
Knapp 1600 Seiten umfasst das neue (Mammut-) Werk, unterteilt in zwei BĂŒchern, des japanischen Kultautors Haruki Murakami. 1600 Seiten, in denen der Schriftsteller (wieder einmal) die uns bekannte Welt auf den Kopf stellt und dem Leser eine Geschichte bietet, in der Liebe, Spannung, Weisheiten und Erkenntnisse, interessante und skurrile Charaktere sowie fantastische Elemente nicht zu kurz kommen. Wer Herrn Murakami kennt, weiĂ, wovon ich spreche und weiĂ auch, dies zu schĂ€tzen. Hier kann man sich auf ein (weiteres) auĂergewöhnliches Leseerlebnis freuen.
Wir schreiben das Jahr 1984.
Aomame
Eine junge Frau, die sich, neben ihrem Job als Trainerin in einem Sportstudio, dem schnellen und unauffÀlligen Töten von MÀnnern widmet. Diese haben ihre Frauen auf brutalste Weise misshandelt und somit den Tod verdient.
Beauftragt wird Aomame von einer angesehenen, Àlteren Dame, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Welt von diesen Individuen zu befreien.
Als Aomame eines Tages den Auftrag erhĂ€lt, den AnfĂŒhrer einer zwielichtigen Sekte zu eliminieren, der sich sexuell an minderjĂ€hrigen MĂ€dchen vergreift, steht schnell fest, dass dies der letzte Auftrag sein wird. Sollte der Mord an dem gut bewachten Guru gelingen, gibt es kein ZurĂŒck mehr. Aomame muss ihr bisheriges Leben aufgeben, da die Sektenmitglieder hinter ihr her sein werden. Doch bevor Aomame untertaucht, muss sie noch etwas erledigen. Sie muss jemanden aus Kindheitstagen finden.
Tengo
Ein junger Mann, der ein paar Mal in der Woche Mathematik unterrichtet und sich nebenbei als Schriftsteller betĂ€tigt, gerĂ€t eines Tages an ein eingereichtes Manuskript mit dem Titel âDie Puppe aus Luftâ, geschrieben von einem siebzehnjĂ€hrigen MĂ€dchen namens Fukaeri.
Er ist sehr angetan von dem fantasievollen Plot und legt das Manuskript seinem Literaturagenten vor. Dieser hat die riskante Idee, den inhaltlich guten aber unausgegorenen Text von Tengo ĂŒberarbeiten zu lassen, um den fertigen Roman, unter dem Namen der jungen Schriftstellerin, an einen Literaturwettbewerb teilnehmen zu lassen. Tengo soll Kontakt zu dem MĂ€dchen aufnehmen und sie von dieser Idee ĂŒberzeugen.
Schnell begreift Tengo, dass Fukaeri kein gewöhnliches MĂ€dchen ist. Einerseits scheint sie völlig neben sich zu stehen und wirkt leicht entrĂŒckt, andererseits fĂŒhlt er sich, auf eine ihm unerklĂ€rliche Weise, zu ihr hingezogen. SchlieĂlich gibt sie dem Plan die Einwilligung und der Roman wird, wie erhofft, ein groĂer Erfolg. Doch leider scheint der Plot nicht, wie zunĂ€chst geglaubt, der Fantasie des MĂ€dchens entsprungen zu sein, sondern der RealitĂ€t zu entsprechen. Und so dauert es nicht lange, bis die Veröffentlichung des Buches Gestalten auf den Plan ruft, die verhindern wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Irgendwie scheint es einen Zusammenhang zwischen Fukaeri und der Sekte zu geben, dessen AnfĂŒhrer von Aomame ermordet werden soll.
Nach und nach erfĂ€hrt der Leser, dass alles irgendwie miteinander in Verbindung steht und auch Tengo und Aomame ihrem (gemeinsamen?) Schicksal ins Auge blicken mĂŒssen. Hier scheint etwas GröĂeres am Werk zu sein.
Irgendwann geraten beide unabhĂ€ngig voneinander auf unerklĂ€rliche Weise in eine Parallelwelt des Jahres 1Q84. Hier gibt es zwei Monde sowie die Little People und die Puppe aus Luft. Alles PhĂ€nomene aus dem ErfolgsdebĂŒt Fukaeris.
Dies ist nur der HaupterzĂ€hlstrang von â1Q84â. Es gibt noch weitere, die mehr Klarheit in das zunĂ€chst konfuse Dunkel bringen und den Charakteren immer mehr Tiefe verleihen.
Alle Personen sind interessant und glaubwĂŒrdig dargestellt. Die Dialoge sind flĂŒssig. Ăberhaupt liest sich der Roman, trotz seines Umfangs, leicht und locker, denn sprachlich weiĂ Herr Murakami ebenfalls zu ĂŒberzeugen.
Insgesamt ist â1Q84â ein sehr gelungenes und lesenswertes Buch. Zwar gerĂ€t Murakami manchmal ins allzu detaillierte Fabulieren, was jedoch Geschmackssache ist und vielleicht mit der Tradition der ostasiatischen ErzĂ€hlkunst zusammenhĂ€ngen mag. Ich jedenfalls habe diese Passagen nie als langweilig empfunden, da der Autor eine solche brillante und bildhafte Sprache hat, die immer leicht verklĂ€rt, melancholisch und romantisch anmutet. So bleibt der SpaĂ am Lesen nie auf der Strecke. Im Gegenteil: Man hat die Zeit, das Geschriebene zu genieĂen, bevor der Spannungsbogen im richtigen Moment wieder nach oben geht.
FĂŒr mich ein echter Murakami.
Wer diesen genialen Autor noch nicht kennt, sollte dies schleunigst nachholen.
Diese Rezension bezieht sich auf beide BĂŒcher ( Buch 1, 2 und 3).
Das erste Buch ( in dem Buch 1 und 2 zusammengefasst wurden ) ist schon im Dezember 2010 erschienen.