Knapp 1600 Seiten umfasst das neue (Mammut-) Werk, unterteilt in zwei Büchern, des japanischen Kultautors Haruki Murakami. 1600 Seiten, in denen der Schriftsteller (wieder einmal) die uns bekannte Welt auf den Kopf stellt und dem Leser eine Geschichte bietet, in der Liebe, Spannung, Weisheiten und Erkenntnisse, interessante und skurrile Charaktere sowie fantastische Elemente nicht zu kurz kommen. Wer Herrn Murakami kennt, weiß, wovon ich spreche und weiß auch, dies zu schätzen. Hier kann man sich auf ein (weiteres) außergewöhnliches Leseerlebnis freuen.
Wir schreiben das Jahr 1984.
Aomame
Eine junge Frau, die sich, neben ihrem Job als Trainerin in einem Sportstudio, dem schnellen und unauffälligen Töten von Männern widmet. Diese haben ihre Frauen auf brutalste Weise misshandelt und somit den Tod verdient.
Beauftragt wird Aomame von einer angesehenen, älteren Dame, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Welt von diesen Individuen zu befreien.
Als Aomame eines Tages den Auftrag erhält, den Anführer einer zwielichtigen Sekte zu eliminieren, der sich sexuell an minderjährigen Mädchen vergreift, steht schnell fest, dass dies der letzte Auftrag sein wird. Sollte der Mord an dem gut bewachten Guru gelingen, gibt es kein Zurück mehr. Aomame muss ihr bisheriges Leben aufgeben, da die Sektenmitglieder hinter ihr her sein werden. Doch bevor Aomame untertaucht, muss sie noch etwas erledigen. Sie muss jemanden aus Kindheitstagen finden.
Tengo
Ein junger Mann, der ein paar Mal in der Woche Mathematik unterrichtet und sich nebenbei als Schriftsteller betätigt, gerät eines Tages an ein eingereichtes Manuskript mit dem Titel „Die Puppe aus Luft“, geschrieben von einem siebzehnjährigen Mädchen namens Fukaeri.
Er ist sehr angetan von dem fantasievollen Plot und legt das Manuskript seinem Literaturagenten vor. Dieser hat die riskante Idee, den inhaltlich guten aber unausgegorenen Text von Tengo überarbeiten zu lassen, um den fertigen Roman, unter dem Namen der jungen Schriftstellerin, an einen Literaturwettbewerb teilnehmen zu lassen. Tengo soll Kontakt zu dem Mädchen aufnehmen und sie von dieser Idee überzeugen.
Schnell begreift Tengo, dass Fukaeri kein gewöhnliches Mädchen ist. Einerseits scheint sie völlig neben sich zu stehen und wirkt leicht entrückt, andererseits fühlt er sich, auf eine ihm unerklärliche Weise, zu ihr hingezogen. Schließlich gibt sie dem Plan die Einwilligung und der Roman wird, wie erhofft, ein großer Erfolg. Doch leider scheint der Plot nicht, wie zunächst geglaubt, der Fantasie des Mädchens entsprungen zu sein, sondern der Realität zu entsprechen. Und so dauert es nicht lange, bis die Veröffentlichung des Buches Gestalten auf den Plan ruft, die verhindern wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Irgendwie scheint es einen Zusammenhang zwischen Fukaeri und der Sekte zu geben, dessen Anführer von Aomame ermordet werden soll.
Nach und nach erfährt der Leser, dass alles irgendwie miteinander in Verbindung steht und auch Tengo und Aomame ihrem (gemeinsamen?) Schicksal ins Auge blicken müssen. Hier scheint etwas Größeres am Werk zu sein.
Irgendwann geraten beide unabhängig voneinander auf unerklärliche Weise in eine Parallelwelt des Jahres 1Q84. Hier gibt es zwei Monde sowie die Little People und die Puppe aus Luft. Alles Phänomene aus dem Erfolgsdebüt Fukaeris.
Dies ist nur der Haupterzählstrang von „1Q84“. Es gibt noch weitere, die mehr Klarheit in das zunächst konfuse Dunkel bringen und den Charakteren immer mehr Tiefe verleihen.
Alle Personen sind interessant und glaubwürdig dargestellt. Die Dialoge sind flüssig. Überhaupt liest sich der Roman, trotz seines Umfangs, leicht und locker, denn sprachlich weiß Herr Murakami ebenfalls zu überzeugen.
Insgesamt ist „1Q84“ ein sehr gelungenes und lesenswertes Buch. Zwar gerät Murakami manchmal ins allzu detaillierte Fabulieren, was jedoch Geschmackssache ist und vielleicht mit der Tradition der ostasiatischen Erzählkunst zusammenhängen mag. Ich jedenfalls habe diese Passagen nie als langweilig empfunden, da der Autor eine solche brillante und bildhafte Sprache hat, die immer leicht verklärt, melancholisch und romantisch anmutet. So bleibt der Spaß am Lesen nie auf der Strecke. Im Gegenteil: Man hat die Zeit, das Geschriebene zu genießen, bevor der Spannungsbogen im richtigen Moment wieder nach oben geht.
Für mich ein echter Murakami.
Wer diesen genialen Autor noch nicht kennt, sollte dies schleunigst nachholen.
Diese Rezension bezieht sich auf beide Bücher ( Buch 1, 2 und 3).
Das erste Buch ( in dem Buch 1 und 2 zusammengefasst wurden ) ist schon im Dezember 2010 erschienen.