Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
Gäbe es ein Wort für das Gegenteil einer Fortsetzung, auf dieses Buch träfe es zu. Sven Regener, Berliner Erfolgsautor seit „Herr Lehmann“, hat seinem Helden ein zweites Buch gewidmet- nur spielt dieses zehn Jahre vor dem ersten. Frank Lehmann ist gerade zwanzig und hat über seine Zukunft recht vage Vorstellungen. Klar ist für ihn nur, dass er nicht bei seinen Eltern in der öden Bremer Siedlung Neue Vahr bleiben will. So zieht er in eine chaotische Wohngemeinschaft mit Studenten, Punks und linken Aktivisten. Pech nur, dass er zum Bund muss- während in der „Szene“ nur gilt, wer verweigert. Alle Versuche Franks, dies nachträglich zu tun, scheitern zunächst. Er muss sich mit kauzigen Vorgesetzten, drögen Zimmernachbarn, Anhörungsverfahren und öffentlichen Gelöbnissen herumärgern. Am Wochenende nerven ihn seine WG-Kumpels, und mit den Mädels will es auch nicht so recht klappen....
Wer „Herr Lehmann“ gerne gelesen hat, dem wird auch „Neue Vahr Süd“ gefallen. Dieselben launigen Dialoge, derselbe unprätentiöse Erzählstil, witzige, unerwartete Situationen und eine grundsympathische Figur, die versucht, sich in zwei verschiedenen Welten selbst treu zu bleiben. Denn vom Kontrast zwischen Bundeswehr- und alternativem Szene-Alltag lebt das Buch, und Sven Regener gelingt es, beides locker nebenher laufen zu lassen. Wer selber beim Bund war, wird so manches Dejà -vu-Erlebnis haben- aber auch derjenige, der damals verweigert hat. Leser, die in den Achtzigern studiert haben, werden sich mit leisem Lächeln erinnern an Zeiten, als es weder Internet noch Handys gab und auch keine Club-und Spaßkultur. Morgens machte man den Büchertisch von KB-irgendwas, abends saß man zusammen in schummrig-verräucherten Kneipen oder auf dem Flokati im WG-Zimmer, ließ Rotwein und Joint kreisen und dachte mit großem Ernst über die Verbesserung der Welt nach. „Neue Vahr Süd“ dokumentiert auch ein wenig das Lebensgefühl jener Zeit.
Sven Regener: Neu Vahr Süd.
Goldmann Verlag, München, Juli 2006.
633 Seiten, Taschenbuch.