Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
„Manche Menschen haben das Gefühl, dass aus ihrem Leben ein lang gezogener Regentag geworden ist und sie selber nichts als ein Regenschirm für diesen Tag.“ Was zunächst als „geistreiches Party-Geplauder“ daherkommt, beschreibt das Lebensgefühl des namenlosen Ich-Erzählers, eines Mannes mittleren Alters, der, gerade von der Freundin verlassen, durch den Alltag seiner Stadt wandelt, Bekannte trifft und sich bisweilen ausufernden Beobachtungen und Reflexionen hingibt. Nichts wirklich Spektakuläres passiert in diesem Roman, der Reiz liegt in den vielen Gedanken und Details aus dem ganz normalen Leben, liegt in den vielen Gedanken und Details aus dem ganz normalen Leben, der Entdeckung des Besonderen im Banalen: Der Anblick von Geröll und Gestrüpp zum Beispiel löst im Protagonisten geradezu existentialistisch-tiefgründige Weltbetrachtungen aus, und beim Stadtfest fesselt ihn ein kleiner Junge, der auf einem Balkon eine Art Höhle aus Tüchern baut, mehr als die eitle Selbstdarstellung der Kleinstadt-Schickeria. Gleichzeitig wird das Leben einer Generation jenseits der Vierzig gezeigt, die einmal große Träume hatte und nun Angst vor der Mittelmäßigkeit hat. Gescheiterte Möchtegern-Künstler, die sich mit öden Büro- und Gelegenheitsjobs durchschlagen müssen. Und bisweilen erkennen, dass auch die Mittelmäßigkeit Vorteile bietet, dass ein bisschen Glück auch in den alltäglichen Dingen zu finden ist.
Wilhelm Genazino: Ein Regenschirm für diesen Tag.
dtv, München, April 2003.
176 Seiten, Taschenbuch.