Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
Alice Bhattis lebt in den Slums von Karachi und möchte unbedingt raus aus dem übel riechenden Ghetto für Christen, dem Dreck und der Armut. Weil sie die Tochter eines Kanalreinigers ist, gehört sie in Pakistan zu der Kaste der Unberührbaren. Ihr christlicher Glaube macht sie darüber hinaus zur Außenseiterin unter den Außenseitern. Mit viel Energie schafft sie die Ausbildung zur Krankenschwester, um anschließend im Herz Jesu Krankenhaus die Böden zu putzen. Kurz darauf darf sie die Stelle einer unterbezahlten Hilfskrankenschwester annehmen. Doch die täglichen Ausgrenzungen und Übergriffe gehen trotz ihrer Förderer weiter. Als sie sich gegen eine Vergewaltigung wehrt und „zu ihrem Schutz“ zwei Wochen beurlaubt wird, kommt ihr der Gedanke, eine Heirat mit dem aufdringlichen Verehrer Teddy könne für den ersehnten Frieden und ein richtiges Zuhause sorgen.
Mohammed Hanif, der seinem Ruf als herausragende literarische Stimme Pakistans auch mit seinem neuen Roman „Alice Bhattis Himmelfahrt“ gerecht wird, ist ein besonderes Kunststück gelungen. Seine Schilderungen im gewaltreichen Pakistan sind packend, nuanciert und unglaublich plastisch dargestellt, so dass jede noch so drastische, haarsträubende Szene authentisch wirkt. Die mit überraschenden Wendungen gespickte Geschichte von Alice lässt den Leser nicht mehr so schnell los, wenn er von Kapitel zu Kapitel mehr über ihre Leidens- und Lebensgeschichte erfährt. Darüber hinaus ist jede einzelne Nebenfigur wunderbar ausgearbeitet, als wären sie wirkliche Charaktere.
Mit seinem zweiten Roman schreibt der 1965 geborene Mohammed Hanif ein Stück Geschichte über das alltägliche Pakistan der Frauen und der Opfer im allgemeinen, das den meisten westlichen Leser die Augen öffnen dürfte. Wenn er Alice Bhattis Körper beschreibt: „... ein kompaktes kleines Kriegsgebiet, auf dem die rivalisierenden Soldaten, die darüber hinweggetrampelt sind, ihre Spuren hinterlassen haben ...“, wird aus Alice verletztem Körper und Leben eine Metapher für den Zustand eines von Gewalt, Mord und Zerstörung gepeinigten Landes, das irgendwie überleben will. Durchaus passend wirkt in diesem Zusammenhang auch Teddy Butts Liebeserklärung, dem Bodybuilder und Polizeigehilfen, der seine geladene Waffe an Alice Schläfe hält und eine Liebeserklärung zu stammeln versucht.
Eine so lebendige und mitreißende Literatur wie die von Mohammed Hanif sollte niemand missen.
Mohammed Hanif: Alice Bhattis Himmelfahrt.
A 1 Verlagsgesellschaft, Februar 2012.
221 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,90 Euro.