Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
Wie lebt es sich in Marokko, wenn man arm und ungebildet ist?
Ein reicher Gönner könnte ein Glücksfall sein, auch wenn er Gegenleistungen verlangt.
Der vierzehnjährige Omar lebt in Armut. Wie andere auch bietet er sich und seine Liebe an, um ein besseres Leben zu leben. Denn nachdem die Mutter mit seinem jüngeren Bruder davon gelaufen ist, lebt er unter den hämischen Blicken der Nachbarn mit seinem kranken Vater allein.
Doch Omar hat Glück, sein bester Freund und Klassenkamerad ist der reiche Khalid, der ihm an seiner Seite ein gutes Leben bietet. In allen Lebenslagen sind sie Freunde und ein Paar. Als Omar während des Unterrichts erfährt, dass sein Freund König Hassan II. persönlich treffen darf, bricht für ihn eine Welt zusammen. Warum hat Khalid ihm diese Ehre nicht anvertraut, während Omar seinem Freund alles erzählt? Gedanken von Eifersucht, Rache und Existenznöte treiben ihn in die Verzweiflung.
Abdellah TaÏa, geboren 1973 in Rabat, seit 1999 in Paris lebend, hat vor zwei Jahren für seinen Roman „Der Tag des Königs“ den französischen Literaturpreis Prix de Flore erhalten. Sein Buch ist mutig und politisch zugleich, wenn er in einer poetischen Sprache von der Armut und dem Aberglauben erzählt. Homosexualität, Missbrauch und käufliche Liebe beschreibt er beiläufig. Sein Roman schenkt dem Leser verschiedene Lesarten: Omars Alpträume zu Beginn haben einen surrealen Charakter, und auf dieser Ebene könnte man auch das Leben in Armut begreifen. Im Vordergrund steht die besondere Freundschaft zwischen zwei Jugendlichen, die auf der Schwelle zum Erwachsenwerden ihren Platz im Leben finden wollen. Politisch wird der Roman, wenn er, ohne zu werten, das Schicksal der Dienerin Hadda oder das des gesellschaftlich abgestiegenen Vaters zeigt. Beide sind Opfer ihrer Lebensumstände geworden. Für die Frage, was wäre aus allen geworden, wenn sie mehr Bildung gehabt hätten, bleibt kein Raum. Die Umstände sind leider anders.
Insgesamt ein wunderschöner Roman, der Augen öffnen kann.
Abdellah Taïa: Der Tag des Königs.
Suhrkamp Verlag, April 2012.
178 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,95 Euro.