Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
Louis studiert in den Siebzigerjahren in Paris, obwohl er noch gar nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen will. Der allgemeine Leitspruch „Seid realistisch, fordert das Unmögliche“ hilft ihm wenig.
Erst die Stellenanzeige: „Suche motivierten jungen Mann für die Betreuung eines besonderen Jugendlichen während eines Aufenthalts mit seiner Mutter in Horville (Calvados)“ eröffnet ihm eine Aus- und Bedenkzeit. Kaum angekommen in dem vertrauten Ferienort seiner Kindheit, wird Louis nicht nur von den schmerzenden Erinnerungen geplagt, sondern auch von den Forderungen des 16-jährigen Iannis und dessen Mutter überrollt. Diesen kann er nur gerecht werden, wenn er seine routinierte Verweigerungshaltung aufgibt.
Philippe Grimbert, geboren 1948 in Paris und Autor des Bestsellers „Ein Geheimnis“, ist Psychoanalytiker mit einem Schwerpunkt in der Jugendpsychologie. Dieses Wissen fließt in eine gewählte, einfühlsame Sprache, ohne auf Fachtermini zurückzugreifen. Interessant und zugleich spannend wird der Roman durch die drei im Ausnahmezustand befindlichen Hauptfiguren. Louis sucht sein Lebensziel, Iannis Mutter Helena einen Ausweg aus ihrer unglücklichen Ehe, während Iannis selbst seine Fähigkeiten der Kommunikation versteckt. Ob alle drei tatsächlich einen Ausweg aus ihrem Dilemma finden, bleibt verborgen. Jeder von ihnen lässt sich zu Dummheiten hinreißen, die mitunter im Leben zu einem glücklichen Ende führen können. Im Roman schenken allein die eine oder andere Andeutung ein paar Hinweise. Die gelungene Figurenzeichnung und die nur beiläufig skizzierten Schicksale berühren so sehr, dass „Ein-immer-weiter-Lesen“ fast schon automatisch passiert, auch wenn die eine oder vielleicht andere eingefügte Erinnerung wie ein kleiner Fremdkörper durch einen ansonsten wunderbar gegossenen Text hervor sticht.
Philippe Grimbert: Ein besonderer Junge.
dtv, Juli 2012.
180 Seiten, Taschenbuch, 14,90 Euro.