Jachym Topol, Jahrgang ’64 und bei uns immer noch ein Geheimtip, entstammt dem tschechischen „Underground“ und gilt in seinem Lande als Kultautor und Sprachrohr einer jungen Generation, die ihren Platz in der Nachwende-Gesellschaft sucht. Sein Prag ähnelt eher der Bronx als der „goldenen“ Touristenstadt, und so sucht man Karlsbrücke, Hradschin und andere romantische Altstadtszenarien vergeblich. Stattdessen findet sich der Leser mitten in tristen Vierteln und häßlichen Ausfallsstraßen, wo Drogendealer, Kleinkriminelle und andere Gestrandete ums Überleben kämpfen. Dreh-und Angelpunkt ist die U-Bahn-Station „Andel“(=Engel) im Westen der Stadt. Hier treibt sich Jatek herum, ein Drogensüchtiger, den immer wieder dieselbe Wahnvorstellung plagt: Vor seinen Augen verwandelt sich der Metro-Aufgang in einen Höllenschlund, während es vom Himmel Blut regnet. Wie er hierher gekommen ist, weiß er nicht mehr. Das Einzige, was ihn treibt, ist die Suche nach der geliebten Nachbarin Ljuba. Sie ist verschwunden, und Jatek weiß nicht, wann und wohin. Erst nach und nach offenbart sich ihm die Vorgeschichte. Beim Experimentieren mit allerhand Dope hatte er zufällig eine absolute Wunderdroge erfunden, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Doch erst die Beigabe seines Blutes führte zu dieser durchschlagenden Wirkung. Dumm für ihn, denn jetzt sind ihm seine Dealer-Kumpanen auf den Fersen. Als sich Jatek nicht an dem erhofften Superdeal beteiligen will, entführen sie Ljuba und erpressen ihn. In einem furiosen Showdown entledigt er sich am Ende aller Widersacher. „Trainspotting“ oder Popliteratur auf tschechisch, könnte man meinen. Doch der Autor ist ein wahrer Sprachakrobat. Atemlos, in geradezu expressionistischen Bildern beschwört Topol den Horrortrip seines Helden. Da geht nicht einfach die Sonne auf, da „jagt sie das Licht vor sich her“ und „ein weißer Vorhang knallt seinen Saum gegen die Stadt.“ In dieser sprachlichen Intensität liegt die Stärke des Romans, dessen Handlung bisweilen verworren und mit Symbolik überfrachtet ist.
Im Nachwort wird auf die Grenzen der literarischen Übersetzung hingewiesen. Zwar gelingt es, die Sprachbilder des Originals ins Deutsche zu vermitteln. Aber die Übertragung einiger Dialoge aus dem Prager Vorstadtjargon ins Berlinerische bleibt eine Notlösung.
Jachym Topol: Engel Exit.
Verlag Volk und Welt, Berlin, 2001.
205 Seiten, gebundenes Buch.