Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
Gab es schon einmal ein Buch mit Bonusmaterial? Sicher. Es gibt Bücher, bei denen eine CD dabei liegt, oder Werbung. Aber in »Irrsinn« finden sich als Anhang tatsächlich sechzehn zusätzliche, als Bonusmaterial betitelte Seiten. So beginnt es mit Wissenswertem über den Autor – und enttäuscht, denn die Vita im Buch ist nicht aktuell und auch sehr kurz. Dean Koontz’ Hund Trixie ist vor Kurzem verstorben, im Buch wird sie noch genannt. Auf den weiteren Seiten stellt der Verlag einen Großteil der von Dean Koontz erschienenen Romane mit knapper Inhaltsangabe vor.
Aber gehen wir wieder an den Anfang des Buches zurück. Und obwohl die Überschrift des ersten Teils »Du hast die Wahl« heißt, ist klar dass nicht der Leser gemeint ist.
Billy arbeitet als Barkeeper. Er ist ein ruhiger Typ, der zuhören kann, sich manche Geschichten jeden Abend aufs Neue anhören muss, jedoch keine Geheimnisse preisgibt.
Seine Verlobte Barbara liegt seit fast vier Jahren im Koma, er besucht sie mehrmals in der Woche, ignoriert den Ratschlag des Arztes, sie endlich sterben zu lassen, klammert sich an jede Bewegung ihrer Augen, jedes Wort, das sie zusammenhanglos spricht. Sie hat sein Leben verändert; würde er sie gehen lassen, sähe er keinen Grund weiterzumachen.
Als Billy von der Arbeit kommt und zu seinem Auto geht, findet er einen Zettel unter dem Scheibenwischer. Er geht von Werbung aus. Doch die Aufforderung, die er nun liest, ist alles andere als eine Dienstleistung oder ein Gutschein für eine Waschanlage. Ein Unbekannter stellt ihn vor die Wahl: Billy kann die Nachricht zur Polizei bringen, dann tötet der Fremde eine hübsche, blonde Lehrerin. Oder er geht nicht zur Polizei, dann wird eine ältere Frau umgebracht, die sich sozial engagiert.
»Du hast die Wahl!«
Billy nimmt die Warnung ernst, weiß aber nicht, wie er sich verhalten soll. Darum geht er zu seinem Freund Lanny. Und Lanny ist Polizist, der den Zettel aber als dummen Streich ansieht und die Sache auf sich beruhen lässt.
In dieser Nacht erhält Billy einen Anruf. Die Leitung ist stumm, und dennoch weiß Billy, dass dort jemand auf seine Reaktion wartet. Doch er lässt sich nicht auf das Spiel ein und wartet, bis der anonyme Anrufer auflegt. Noch glaubt Billy an einen schlechten Scherz.
Am nächsten Tag jedoch kommt die bittere Wahrheit. Billy findet einen zweiten Zettel an seinem Auto, gleichzeitig taucht Lanny auf und offenbart seinem Freund Billy, dass eine junge, blonde Lehrerin im Nachbarort tot aufgefunden worden ist. Der Täter hat sie zu Tode geprügelt. Lanny bittet seinen Freund um den Zettel. Er will nicht, dass Billy zu seinen Kollegen geht, das könnte Lannys beruflicher Untergang sein. Er bittet um Bedenkzeit, um sein vorschriftswidriges Verhalten vertuschen zu können.
Widerwillig überlässt Billy seinem Freund den ersten Zettel – und auch den zweiten, jedoch nicht, bevor er ihn gelesen hat. Diesmal stellt der Täter ihn vor eine neue Wahl: Geht Billy zur Polizei, wird eine Mutter mit zwei Kindern getötet, geht er nicht, stirbt ein Mann mittleren Alters, den keiner vermissen wird.
Als Billy wieder zuhause ist, erhält er bald einen Anruf. Doch mehr als unangenehmes Schweigen wird nicht offenbart.
Diesmal jedoch benutzt Billy die Rückruffunktion und erkennt die Nummer von Lanny.
Wir sind jedoch erst auf Seite 86 und ahnen, dass nicht er der Täter sein kann.
Billy wird zum Jäger und zum Gejagten, zum Beschützer, zum Wahnsinnigen, zum Opfer … ein brutales und für den ein oder anderen tödlich endendes Katz- und Mausspiel nimmt seinen Lauf.
Schon zu Beginn des Buches stellt Dean Koontz detailliert Billys Kollegen in der Bar vor. Jeder davon nimmt eine kleine Rolle ein, die später wichtig wird. Und so streut Dean Koontz über die gesamte Geschichte hindurch kleine Indizien, die aber erst am Ende als solche erkannt werden. Es gelingt ihm, den Leser mal auf die falsche Spur zu lenken, mal vollkommen hilflos zu lassen. Spannung vermittelt er in »Irrsinn« auf fast jeder Seite.
Die Idee Billy, der zwar ruhig, aber – wie wir später erfahren – nicht ganz unbescholten ist und mit der Polizei schon schlechte Erfahrungen gemacht hat, nach und nach zum Opfer, Mitwisser, Komplizen und später selbst zum Täter zu machen, ist faszinierend und ruft Entsetzen hervor; vor allem in Anbetracht der Tatsache, was Billy alles durchmachen muss. »Bist du bereit für deine erste Wunde?« – eine Frage des anonymen Wahnsinnigen, die Schlimmes befürchten lässt.
Auch wenn es immer wieder Momente gibt, bei denen man Billy am Liebsten entgegen schreien möchte: »Geh doch endlich zur Polizei, du Idiot!« Er misstraut dem Gesetz und jedem, der sich ihm nähert. Billy lebte immer gern allein, zog sich zurück, nun wird er zum Einzelkämpfer.
Nach und nach wird klar, warum Billy so handelt. Die komplette Auflösung gibt es erst am Ende. Tatsächlich schafft Dean Koontz auf den allerletzten Seiten ein Szenario nach Hollywood-Manier.
Dean Koontz präsentiert mit »Irrsinn« einen Thriller mit Tiefgang und dramatischem Verlauf, der einen vor Spannung, Ekel und Faszination nicht loslässt!
Dean Koontz
»Irrsinn«
Originaltitel: »Velocity«
Ãœbersetzung. Bernhard Kleinschmidt
Deutsche Erstausgabe
Dean Koontz: Irrsinn.
Heyne Verlag, November 2007.
446 Seiten, Taschenbuch, 8,95 Euro.