Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
Immer wieder schöne Bilder: loslaufen, alles hinter sich lassen, noch einmal von vorne anfangen und was weiß ich noch alles. So trivial wie richtig. Einfach machen.
Ich sehe sie doch vor mir, die griesgrämigen Ehepaare, die seit undenklicher Zeit zusammen leben ohne einander zu haben. Mürrisch wird das Leben weg gelebt.
Und dann kommt der Augenblick, in dem sich alles verändert. Der Weg. Im vorliegenden Roman läuft der Rentner Harold Fry an einem Briefkasten vorbei, weil er denkt, lass mal noch paar Schritte weiter gehen. Und dann geht er am nächsten Briefkasten vorbei und so weiter und er beginnt seinen Marsch. Der Brief war adressiert an eine ehemalige Mitarbeiterin, die ihm unvermittelt von Ihrer Krebserkrankung unterrichtete und dass haut ihn aus den Schuhen. Diese Frau, Queennie Hennessy befindet sich in Berwick, am anderen Ende von England. Er setzt sich in den Kopf, Hennessy retten zu können, in dem er die Strecke, mal eben gut 1000 Kilometer, zu Fuß geht. So eine Art Projektion: wenn ich die Strecke bewältige, bleibt Hennessy am Leben. Maureen, Harolds Frau, ist eine in sich zusammen gesackte Frau, ohne Leben, ohne Ziel, bepackt mit Reinlichkeitsneurosen und einer ehelichen Sprachlosigkeit. Es gibt einen gemeinsamen Sohn, David, der quasi als letzter Halt für Maureens Existenz herhalten muss.
Also alles nicht schön. Dann der Weg. Es gibt wunderbare Begegnungen, Austausch mit fremden Leben und Geschichten, unvermutetes Näherkommen, Verständnisse, Einsichten, Naturerlebnis – eben, der Mann spürt sich zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder. Ein schmerzvoller Marsch für den untrainierten Harold. Irgendwann, ist klar, wird er zum Medienereignis, war ja auch vorhersehbar und er bekommt ein paar Jünger, die ihn teils anbeten, teils beneiden. Und ich will jetzt auch nicht zu viel verraten, bis auf die Tatsache, dass er tatsächlich ankommt.
Es ist ein schönes, hoffnungsvolles Buch. Literarisch weiß ich es nicht so recht einzuordnen. Gut ist jedenfalls, obwohl es eine Art Pilgerreise ist, dass die Religion außen vor bleibt. Am Schluss kommt keine Grotte oder irgend so ein Bettlaken von Jesus. Am Ende ist er bei Hennessy. Und findet – gut, ich sag es - endlich wieder zu sich selbst. Und nicht nur er!
Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry.
Fischer, Mai 2012.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,99 Euro.