Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
Scott Westerfeld: Goliath - Die Stunde der Wahrheit
In den letzten Jahren eroberte Scott Westerfelds Steampunk-Roman „Leviathan“ und dessen Fortsetzung die internationalen Bestsellerlisten. Auch bei uns konnte die etwas andere Version rund um die Ermordung des Habsburger Kaiserpaares und dem daran anschließenden ersten Weltkrieg Meriten einheimsen.
Westerfeld schildert uns ein Europa, das in zwei einander misstrauisch, ja ablehnend beäugende Blöcke unterteilt ist. Auf der einen Seite, die Darwinisten, die mittels einer hochentwickelten Gentechnik Lebewesen als hilfreiche Geister herangezüchtet haben, auf der anderen Seite, die Mechanisten, die rein der Technik vertrauen.
Beide Grundrichtungen haben an Bord gigantische Zeppeline die Lüfte erobert. Was bei den Darwinisten ein heliumgefülltes Lebewesen ist, das treiben auf der anderen Seite bei den Mechanisten große leistungsfähige Motoren an.
Nach dem Attentat dauert es nicht lang, bis die Mächte einander den Krieg erklären. Westerfeld erzählt uns die Geschichte zweier, junger Menschen.
Der Eine, Alek, ein mittlerweile heimatloser habsburgischer Thronfolger, die Andere, Mr Sharp genannt, eigentlich heißt sie Deryn, eine mutige Luftfahrerin, die sich als Junge verkleidet als Kadett an Bord der Leviathan eingeschlichen hat.
Nachdem sie in Konstantinopel dafür gesorgt haben, dass sich das osmanischen Reich nicht den Mechanisten anschließt, führt die Fahrt die Leviathan weiter gen Osten.
In Sibirien nehmen sie einen neuen Passagier an Bord – Nicolas Tesla, exzentrisches Genie und früherer Verbündeter der Mechanisten hat die Seiten gewechselt und in Tunguska die Wirkung seiner neuesten Erfindung, der ultimativen Waffe, der er den Namen Goliath gegeben hat, studiert. Mit Hilfe Goliaths, so hofft Alek, kann der Krieg schnell und unblutig beendet werden. Die Abschreckung, die von einer Waffe ausgeht, die auf Entfernung ganze Städte ausradieren kann sollte eigentlich genügen, um den Kaiser an den Verhandlungstisch zu zwingen. Doch zunächst muss Tesla wieder nach New York zurückgebracht werden. So macht sich die Leviathan auf, den Erfinder über Japan und den Pazifik an die Ostküste der Staaten zu befördern. Unterwegs treffen sie auf die erblühende Filmindustrie Hollywoods, machen die Bekanntschaft des mexikanischen Revolutionärs Francisco „Pancho“ Villas bevor sie Goliath in New York der Weltöffentlichkeit vorstellen. Doch so einfach gibt sich der Kaiser nicht geschlagen. Ein Wasserläufer ist auf dem Weg ins bislang neutrale Amerika um die Bedrohung an der Quelle auszuschalten – mittendrin natürlich unsere beiden Helden, die mit den Gefühlen, die sie für den jeweils anderen Empfinden eigentlich schon genug um die Ohren haben …
Scott Westerfelds Steampunk Trilogie hat die Türen sowohl bei den Lesern wie bei den Verlagen für die relativ neue Spielart der Phantastik weit aufgestossen. Das interessante Spiel mit geschichtlichen Fakten und Personen, die sich mit phantastischen Erfindungen mischen erfreut sich zunehmenden Interesses. Fast alle einschlägigen Jugendbuchverlage haben entsprechende Titel ins Angebot genommen, die sich erstaunlicherweise nicht nur bei Jungs, sondern auch bei Mädchen großen Interesses erfreuen. Gerade weil man hier oft auch ein wenig Romantik beimischen kann, dabei aber die temporeiche Handlung nicht außen vor bleibt, eigenen sich diese Bücher für beide Zielgruppen.
Vorliegend hat sich Westerfeld einer schwierigen, gleichzeitig aber auch interessanten Ära angenommen. Der Beginn des ersten Weltkriegs mit der Ermordung des habsburger´schen Königspaars war einer der markantesten Wendepunkte unserer Geschichte.
Dass sich der Autor dann die Freiheit genommen hat, nicht nur die eine Seite als Mechanisten, die andere als Darwinisten darzustellen, sondern auch einen überlebenden Thronfolger zu präsentieren mag man unter künstlerischer Freiheit einordnen. Faszinierend sind die gigantischen Geschöpfe auf beiden Seite allemal. Auch wenn er die Deutschen – im Gegensatz zu den Österreichern – etwas undifferenziert als reine Kriegstreiber darstellt, nimmt der Leser das große Weltgeschehen doch gefiltert, durch die Augen unserer beiden Protagonisten wahr. So bildet der Krieg selbst nur eine entferne Kulisse, vor der die temporeichen Abenteuer des Luftschiffes ablaufen.
Hier gelingt es Westerfeld seine Leser nicht nur mit den phantastischen Schöpfungen, sondern auch mit den Gestalten gefangen zu nehmen. Wir können mühelos in die Haut der Beiden schlüpfen. Alek, eigentlich ein vom Schicksal zunächst auf seidene Laken gebettet wächst zusehends an den dramatischen Ereignissen, die ihm widerfahren. Ist er zunächst nur ein Spielball der Geschehnisse, so wird er immer erwachsener, fordert und übernimmt Verantwortung.
Demgegenüber hat es Deryn in der Verkleidung eines jungen Luftschiffers ungleich schwieriger. Dennoch meistert sie alle Fährnisse, setzt sich mutig und voller Elan für ihre Kameraden ein und rettet ein ums andere Mal die oft verfahrene Situation.
Dass sie, eine Bürgerliche zudem in den Prinzen verliebt ist, eine Verbindung, die selbst wenn bekannt wäre, dass sie ein Mädchen ist niemals eine Chance auf ein Happy End hätte, belastet sie zwar weiter, doch auch davon lässt sie sich nicht unterkriegen.
Dass und wie sich die Verwirrungen und drohen Katastrophen letztendlich lösen, das mag Jeder selbst nachlesen.
Als Fazit bleibt, dass Westerfeld, auch wenn er in der Ausgestaltung der Konfliktparteien ein wenig zu oberflächlich vorging, mit seinen im wahrsten Sinne des Worten phantastischen Wesen und Erfindungen fasziniert, dass er mit seinen sympathisch gezeichneten, sich logisch entwickelnden Figuren dem Leser einen optimalen Einstieg in seine Handlung anbietet und spannend Geschichte mit Erfundenem verbindet.
Scott Westerfeld: Goliath - Die Stunde der Wahrheit.
cbj, November 2012.
544 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.