Andrea Sawatzki: Ein allzu braves Mädchen, gelesen von Andrea Sawatzki
In einem Waldstück findet die Polizei eine völlig verstörte junge Frau und bringt sie in die Psychiatrie. Sie gibt vor nicht zu wissen wer sie ist und sich an nichts erinnern zu können. Beinahe zeitgleich wird ein Nachbar durch ununterbrochen bellende Hunde aufmerksam und die Polizei findet den ermordeten Winfried Ott in seinem Haus. Er wurde mit einem scharfen Gegenstand erstochen.
Sehr behutsam entlockt die Therapeutin der jungen Frau aus dem Wald nach und nach ihre Lebensgeschichte. Es ist eine Lebensgeschichte so voller Widersprüche, dass nicht immer klar ist, ob die Frau lügt, oder ob sie sich in ihrer eigenen Realität befindet, oder ob sich die Ereignisse wirklich so zugetragen haben.
Andrea Sawatzki hat ihren Debütroman im Jahr 1992 angesiedelt, was dem Zuhörer immer wieder klarmacht, wie lange das eigentlich her ist. Mehr als einmal habe ich mich bei dem Gedanken ertappt: "Wieso benutzt sie nicht das Handy?". Während die junge Frau ihre Lebensgeschichte erzählt, wird jedoch klar warum. Eine Kindheit wie sie sie erlebt hat, wäre heute nicht mehr ohne weiteres möglich (zumindest hoffe ich das). Heute gibt es andere Möglichkeiten, Familien wird geholfen. Aber die Kindheit dieser jungen Frau war, wie sie war, und hat sie zu der gemacht, die sie in diesem Roman ist. Nach und nach entblättert sich eine Entwicklung, die nur steil nach unten gehen konnte, eine Seele, die ihren Platz im Leben sucht und doch nicht weiß, welchen Platz sie will. Ihre Normalität erschreckt den Zuhörer, aber ihre Offenheit macht auch klar, warum alles genauso kommen musste.
"Ein allzu braves Mädchen" ist mehr eine Erzählung als ein Krimi, deswegen macht es auch wenig, dass recht schnell Täter und Opfer klar sind. Die Frage, die hier aufgeworfen wird, ist die nach dem wie und warum. Nach und nach wird klar, warum die junge Frau sich so kalt gibt, warum sie über ihr Leben als Prostituierte ohne jede Leidenschaft spricht, wie sie zu dem wurde, was sie heute ist.
Insgesamt eine grandiose Erzählung, die durchaus nachwirkt, hervorragend vorgetragen von der Autorin selbst.
Andrea Sawatzki: Ein allzu braves Mädchen, gelesen von Andrea Sawatzki.
OSTERWOLDaudio, März 2013.
3 CDs, 16,99 Euro.