Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespĂŒrt.
Stellen sie sich folgende Situation vor. Ein Mensch gerÀt allmÀhlich in Vergessenheit. Seine Papiere verschwinden. Seinen Platz in der Familie und auf der Arbeit nimmt jemand anderes ein. Wenn dieser Mensch am Ende ist und nirgendwo mehr hinkann, kommt ein Bote zu ihm oder er erhÀlt ein Telegramm. Kurz und gut, er wird zu einer bestimmten Adresse gebeten. Der Ort zu dem er sich dann begibt, wird sein neuer Arbeitsplatz. Wir nennen das Funktionsort, und den Menschen einen Funktionalen (S. 228).
VerrĂŒckt, ĂŒberkandidelt, undenkbar in unserer rationalen Welt denken Sie? Auch der Moskowiter Kirill, dem genau dieses passiert, hĂ€lt es zunĂ€chst fĂŒr einen schlechten Scherz. Eine unbekannte Frau, mehr noch eine unattraktive Furie von Weib hĂ€lt seine Wohnung besetzt, und hat sich auch der Zuneigung seines Hundes bemĂ€chtigt. Seine Eltern, seine Ex-Freundin haben ihn vergessen, seine Kreditkarte lautet plötzlich auf den Namen der Furie - was hat er da bloĂ zu sich genommen. Doch mehr und mehr muss er sich der Tatsache stellen, dass er fĂŒr seine Umwelt nicht mehr existiert, ja nie gelebt hat. Einzig sein Freund und Saufesbruder Kotja, ein Sensations- und Pornoschreiberling, hĂ€lt mĂŒhsam die Erinnerung an ihn wach. Zusammen begeben sie sich in Kirills neues Heim.
Ein alter Wasserturm am Rande der GroĂstadt entpuppt sich als Tor zu nicht weniger als fĂŒnf anderen Welten. Als Zöllner ist es Kirills Aufgabe zu ĂŒberwachen, dass es zu keinem unzulĂ€ssigen Technologietransfer zwischen den Welten kommt, dass Zölle und Steuern erhoben werden. Woher er die Kenntnisse, die zur ErfĂŒllung seiner Pflicht von Nöten sind hat, wer ihm die SchnellheilungskrĂ€fte und das ewige Leben verliehen hat, bleibt zunĂ€chst im Dunkeln. Doch statt sich seines Lebens zu erfreuen, statt sich gemĂŒtlich zurĂŒckzulehnen, das Leben und die Liebe zu genieĂen, sucht Kirill nach den Verantwortlichen, nach den GrĂŒnden und stöĂt dabei auf ein gigantisches Komplott ..
Sergej Lukianenko, mit diesem Namen verbindet man neben den Bestsellern um die »WÀchter« auch den zurecht hochgelobten Roman »Spektrum«.
Auch in »Spektrum« ging es darum unterschiedlichste Planeten zu besuchen, fremde Welten und unbekannte Zivilisationen zu beschreiben. Dennoch ist vorliegender Roman ganz anders.
ZunÀchst einmal berichtet der Autor uns einmal mehr vom alltÀglichen Leben in der Hauptstadt Russlands. Gut die HÀlfte des Romans vergeht, bis unseres Helden Fuà einmal die Erde verlÀsst, und das ist gut so.
Warum, wollen Sie wissen?
Weil wir mit Kirill zusammen den alltĂ€glichen Kampf ums Ăberleben in einer Stadt voller Armut, Elend, voller neureicher Emporkömmlinge und intriganter Denunzianten erleben. Wie schon in den WĂ€chterromanen erhalten wir einen intimen Einblick in das Leben, die alltĂ€gliche Verzweiflung, den Frust und die TrĂ€ume des durchschnittlichen Moskowiters. Kirill ist eben keiner der begĂŒterten Wendegewinner, keiner, der sich aus alten Seilschaften kommen ein StĂŒck kommunistischen Staates unter den Nagel gerissen hat, und nun die FrĂŒchte seines unredlichen Wohlstands genieĂt. Zwar kommt er aus einer Arztfamilie, doch zu mehr als einer kleinen Eigentumswohnung, und den Traum eines Urlaubs in der TĂŒrkei reicht es fĂŒr ihn und seine Eltern nicht. Das ist der real existierende Kapitalismus in Russland, das zeigt uns Menschen, deren WĂŒnsche nicht hochtrabend sind, denen man abnimmt, dass sie Ablenkung im Bruder Wodka und Schwester Fernsehen suchen.
Zu dieser Realsatire gesellt sich spĂ€ter ein durchaus spannender Plot. Wie kommt es zu den ZugĂ€ngen in die anderen Welten, wer hĂ€lt hier die ZĂŒgel in der Hand, was wollen die mysteriösen Herrschenden ĂŒberhaupt erreichen - Fragen, die die zweite HĂ€lfte des Bandes bestimmen.
Das liest sich flĂŒssig und spannend, lĂ€sst aber letztlich, obwohl Kirill ein sehr intensiv und sympathisch gezeichneter Looser ist, die ganz grosse Faszination eines »Spektrums« vermissen. Gar zu abrupt wechseln die Handlungsorte, zu verwirrend prĂ€sentiert sich gerade zum Finale hin die Auflösung der RĂ€tsel.
Das lĂ€sst ein klein wenig die SouverĂ€nitĂ€t Lukianenkos, die er in seinem Meisterwerk »Spektrum«, aber auch in dem »Schlangenschwert« bewiesen hat, vermissen, das ĂŒbt zwar so manches mal beiĂende Kritik an herrschenden UnzustĂ€nden, erreicht hier aber leider nicht ganz das Niveau der beiden vorgenannten.
Ein gutes, aber kein ĂŒberragendes Buch, spannend, kurzweilig aber leider nicht mehr.