Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
Mit der Ungeduld des Herzens ist das so eine Sache. Die Gefühle übernehmen die Regie, der Verstand hat gerade Urlaub.
Anton Hofmillers emotionale Archillesverse ist das Mitleid. Als ihn das Mitleid übermannt, ist er ein armer, junger Offizier, der vor dem Ersten Weltkrieg in Ungarn stationiert ist. Eines Tages wird er durch Vermittlung eines Bekannten zu einem Fest auf ein Schloss eingeladen. Der Multimillionär Lajos von Kekesflava beeindruckt ihn mit noch nie gesehenem Luxus. Wie in einem Schlaraffenland lässt er sich vom teuren Essen und Wein berauschen. Natürlich fordert er auch dessen Tochter Edith zum Tanz auf. Erst in diesem Augenblick bemerkt er ihre Lähmung. Die öffentliche Blamage treibt ihn in die Flucht. Das schlechte Gewissen veranlasst ihn, Blumen als Entschuldigung zu schicken. Die nächste Einladung ins Schloss kommt prommt. Der in gesellschaftlichen Dingen unerfahrene Hofmiller lässt sich von Ediths Vater immer mehr zur Anteilnahme verpflichten, bis er keinen Ausweg mehr weiß.
Stefan Zweig gibt seinem Roman „Ungeduld des Herzens“ Authentizität, in dem er, der Schriftsteller, einen berühmten, hoch dekorierten Offizier kennenlernt, der ihm in langen Gesprächen eine quälende Schuld offenbart. Detailliert beschreibt Stefan Zweig die Geschichte dieser Schuld aus der Sicht des unbedarften Leutnants, der seit seinem zehnten Lebensjahr nur Drill und gedankenloses Ausführen von Befehlen gelernt hat. Im Schloss wird Anton Hofmiller recht schnell wie ein Familienmitglied behandelt und mit Liebe und Luxus überhäuft. Eigentlich könnte Anton dieses unerwartete Glück genießen, wären da nicht die höhnischen Scherze der Kameraden, die ihm Berechnung vorwerfen. Mitleid gegenüber behinderten Menschen scheint ihnen fremd zu sein. Durch seine Naivität entdeckt Anton erst, als alles zu spät ist, wie raffiniert ihm von Kekesflava Zugeständnisse abgerungen hat und ihm seine Entscheidungsfreiheit raubt. In seiner Hilflosigkeit wird er selbst zu einem Gelähmten, einem Gefangenen seines Mitleids.
Das Besondere an Stefan Zweigs Roman ist die ausführliche Offenbarung von Antons Gefühlen und der damit verbundenen Hilflosigkeit. Das Bild des starken Mannes, noch erhöht durch die Rolle des Soldaten, erhält durch Stefan Zweig einen sensiblen und zugleich zerbrechlichen Charakter, der jenseits der Schubladen Mann/Frau nur das Menschliche mit all seinen Unzulänglichkeiten zeigt.
Stefan Zweig: Ungeduld des Herzens (1939).
Diogenes, Januar 2013.
513 Seiten, Taschenbuch, 11,90 Euro.