Anna Stothard: Pink Hotel
Sie ist siebzehn Jahre alt, von der Schule geflogen und verletzt sich gerne. WĂ€hrend sie in dem heruntergekommenen CafĂ© ihres Vaters als Aushilfe arbeitet, ist sie auf dem besten Weg, ihr Leben zu verlieren. Nur weil ihr Vater vergisst, eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu löschen, erfĂ€hrt sie von dem Unfalltod ihrer Mutter. Kurzerhand stiehlt sie die Kreditkarte ihrer Stiefmutter und fliegt von London nach Los Angeles, wo die Beerdigung stattfindet. Sie kommt zu spĂ€t und erlebt im Hotel ihrer Mutter eine riesige Abschiedsparty. Weil bei ihrem Erscheinen keiner mehr nĂŒchtern ist, kann sie sich in Lilys Wohnung umsehen. Unter dem Bett findet sie einen roten Koffer mit Liebesbriefen, Fotos und Papieren. Aus einer Laune heraus packt sie noch ein paar Kleider ein und nimmt ihn mit.
In den nĂ€chsten Wochen versucht sie herauszufinden, was fĂŒr ein Mensch ihre Mutter war. Eine Mutter, die im Alter von vierzehn Jahren schwanger wurde, mit achtzehn Jahren Kind und Mann verlieĂ, um in Amerika ein neues Leben zu beginnen. Bei ihren Recherchen in L.A. verĂ€ndert sich nicht nur ihr eigenes Leben.
Anna Stothard, geboren 1983 in London, hat fĂŒr ihren kurzweiligen Roman die Perspektive einer starken Ich-ErzĂ€hlerin mit einer verletzten Seele gewĂ€hlt, und ist dabei ein Risiko eingegangen. Wer möchte sich schon gerne mit einer vom Schicksal gebeutelten, jungen Frau identifizieren, die Narben auf ihrer Haut sammelt wie andere Schmuck oder Schuhe? Wer verspĂŒrt schon eine Sehnsucht nach Schmerz, um sich lebendig zu fĂŒhlen? Doch im Laufe der Handlung werden angenehm beilĂ€ufig Geheimnisse aufgedeckt, die vieles erklĂ€ren, ohne kĂŒnstlich eine psychologische PlausibilitĂ€t aufzubauen. Wenn die ErzĂ€hlerin immer wieder Lilys Kleider trĂ€gt, ihre letzte LektĂŒre oder Liebesbriefe liest, wird die drĂ€ngende Suche nach einer nie erfahrenen NĂ€he deutlich.
â... Es war ein wunderschön komponiertes Foto. So wie er Lily darauf zur Geltung brachte, konnte man dem Bild fast ansehen, dass David sie liebte. Es weckte in mir den Wunsch zu erleben, was sie erlebt hatte. Auf diesem Foto sah sie lebendiger aus, als ich mich fĂŒhlte, die ich quicklebendig auf knarzenden Hostel-Dielen in West Hollywood kauerte.â (S. 114)
Leise und bestĂ€ndig wird man angerĂŒhrt, und der wunderschön geschriebene Roman hĂ€lt einen gefangen.
Anna Stothard: Pink Hotel .
Diogenes, September 2013.
352 Seiten, Taschenbuch, 10,90 Euro.
Sabine Bovenkerk-Müller
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