Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
Jeder in Deutschland kennt vermutlich inzwischen den Begriff "Hartz IV". Die meisten von uns verbinden damit bestimmte Vorstellungen und oft haben diese mit gewissen UnfĂ€higkeiten der Betroffenen zu tun. Undine Zimmer ist mit einer Mutter mit Hartz IV-Einkommen aufgewachsen und weder auf sie noch auf ihre Familie passt eines der vielen Vorurteile. In ihrer Familie wurden BĂŒcher und Zeitungen gelesen, ihre Mutter kann kochen und bemĂŒht sich unverdrossen immer wieder um Arbeit. Trotzdem reicht es nie, um aus der Sozialfalle herauszukommen.
Undine Zimmer erzĂ€hlt uns jedoch nicht die Geschichte ihrer Mutter, sondern sie erzĂ€hlt ihre Geschichte. Heute ist sie Autorin, Journalistin, hat sich getraut. In ihrem Buch beschreibt sie, was ihren Weg dorthin so furchtbar schwer gemacht hat. Dabei ist es oft gar nicht das reine Geld, das fehlt, sondern es ist dieses stĂ€ndige "GefĂŒhl", das ich zwar verstehen konnte, solange ich das Buch gelesen habe, das man aber als nicht Betroffener nur verstehen, nicht nachfĂŒhlen kann. Ich musste im Laufe der LektĂŒre feststellen, wie leicht es mir fĂ€llt, einfach mal zu sagen "dann eben nicht", wenn etwas nicht so klappt, wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber wĂ€re dieses "nicht" auch dann noch so leicht, wenn es allgegenwĂ€rtig wĂ€re? Wenn es nicht eine temporĂ€re UnpĂ€sslichkeit wĂ€re, die mich von etwas abhĂ€lt, sondern wenn ich mich innerhalb jeder Gruppe immer wieder fragen mĂŒsste, "was werden sie als NĂ€chstes machen, bei dem ich nicht mithalten kann?" Auf die Dauer nagt das am Selbstbewusstsein. Das verstĂ€ndlich darzustellen, ist die groĂe Leistung dieses Buches. Es geht nicht um den Burger, den man sich jetzt gerade nicht leisten kann, es geht darum, nicht einfach "OK, ich bin dabei" sagen zu können.
Undine durfte die Dinge, die anderen selbstverstĂ€ndlich waren, oft nur von weitem bewundern und kam sich dabei mittendrin ausgeschlossen und schlecht vor. SpĂ€ter sind es die unausfĂŒllbaren Formulare, die die Menschen glauben lassen, sie seien irgendwie minderwertig, Mitarbeiter, die einfach nicht zuzuhören scheinen oder der stĂ€ndige Kampf und alltĂ€gliche Kleinigkeiten, die die Menschen zermĂŒrben. Undines Mutter ist nicht etwas dumm oder ungebildet oder unwillig, sie ist einfach nur irgendwann durch das Raster des Systems gefallen und auf der unteren Seite scheinen sich Widerhaken zu befinden, die sie am Rausklettern hindern.
Ich wĂŒrde das Buch auf keinen Fall als einzige LektĂŒre zur Hartz VI-Problematik empfehlen, den es ist genau das, was auf dem Buchdeckel steht: der Bericht einer Betroffenen. Damit schildert es natĂŒrlich nur eine Seite und das ist fĂŒr eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema zu wenig. Aber es ist ein guter Anfang und rĂ€umt mit Vorurteilen auf. Und das ist schon mal eine gute Voraussetzung fĂŒr jede BeschĂ€ftigung mit einem Thema.
Undine Zimmer: Nicht von schlechten Eltern.
Fischer, August 2013.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,99 Euro.