Die Deutsche Hauptstadt im Ausnahmezustand. Ein internationaler Umweltgipfel kĂŒndigt sich an, PrĂ€sident Bush hat sein Erscheinen zugesagt, da heisst es fĂŒr die Polizei Ăberstunden schieben, und RoutinefĂ€lle schnell und möglichst unauffĂ€llig abzuarbeiten.
Der internationalen Presse soll das Bild eines heilen Berlins voller Harmonie und Frieden offeriert werden, die Wirklichkeit aber ist eine Andere.
Menschen, illegale Prostituierte, ZuhĂ€lter aber auch Polizisten werden brutal mit Eisenstangen getötet. Verbindendes Indiz, all die Morde wurden tief unter der Erde in verlassenen Bunker- und U-Bahnsystemen verĂŒbt.
Kommissar Kalkbrenner macht sich gegen alle WiderstÀnde auf, die offenen FÀden aufzunehmen und zu ermitteln. Dabei muss er sich nicht nur mit seinen allzu karrieregeilen Vorgesetzten anlegen, auch seine Familie, sein soziales Umfeld bleibt auf der Strecke. Ein guter Bulle, ein erfolgreicher Cop aber auch ein gescheiterter Familienvater und Ehemann.
Die Spur fĂŒhrt zu einem jungen Studenten der gegenwĂ€rtig auf Anordnung eines Gerichts seine soziale Stunden fĂŒr die Obdachlosenbetreuung ableistet. Hat dieser, wie allgemein vermutet, nachdem er in den vergessenen und baufĂ€lligen Katakomben der Hauptstadt seinen Dienst abgeleistet hat, wirklich die Opfer mit einer Eisenstange umgebracht, und wo ist das Motiv?
Nur die elenden Gestalten unterhalb der Hauptstadt wissen die Antwort, und wenn Kalkbrenner den Fall lösen will, dann muss er hinab zu den Parias, die schon lÀngst durch das stÀndig grobmaschiger werdende soziale Netz unserer Wohlfahrtsgesellschaft gefallen sind ...
Marcel Feige hat mit seiner »Inferno Trilogie« bei Festa fĂŒr Aufsehen gesorgt. Neben seinen preisgekrönten SachbĂŒchern wusste er bereits in den drei Inferno-Titeln durch messerscharfe Beobachtungsgabe insbesondere in Bezug auf soziale MissstĂ€nde und deren Auswirkungen auf Drogen- und Verbrechensproblematik zu ĂŒberzeugen.
Was lag nÀher, als ihn erneut auf den urbanen Dschungel der Hauptstadt loszulassen, in der er arbeitet und lebt, die er kennt, wie keine Andere.
Diesmal aber, sollte der Roman in der RealitÀt wurzeln, sollte eine packende Mischung aus Krimi und rasantem Thriller die Leser fesseln.
Mit Instinkt und dem nötigen Insiderwissen prĂ€sentiert uns Feige die Geschichte um die Ermittlungen im Fall eines Serienkillers. Dabei gelingt es ihm mit scheinbar leichter Hand markanten Charakterköpfe zu zeichnen. Insbesondere die Darstellung Kommissar Kalkbrenners und dessen Tochter wissen hier zu ĂŒberzeugen. In ein paar wenigen, scheinbar unmassgebenden Passagen zeichnet er das Bild eines Generationskonflikts, wie er sich in Deutschland, ja der Welt milliardenfach tĂ€glich abspielt. Der im Beruf aufgehende Vater, der mehr und mehr den Kontakt zur Familie verliert, der sich, gerade weil er ein schlechtes Gewissen hat, immer weiter zurĂŒckzieht, und in seine Arbeit vergrĂ€bt, die aufbegehrenden Kinder, die nach Rebellion schreien, auf eigenen FĂŒssen stehen wollen, die ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu fĂŒhren trachten und doch nach Liebe und Akzeptanz, nach Anerkennung hungern, das sind Gestalten, die mich berĂŒhren, die ich verstehe, in deren Haut ich schlĂŒpfen kann. Wie sagte der Autor so treffend: »Ich habe Verbrechen aufgeklĂ€rt, die aus Neid, Missgunst, Eifersucht und Rache geschahen. Aber das hier, das ist das schlimmste Verbrechen von allen: GleichgĂŒltigkeit« (S. 459). Da kann die nĂ€chste Party noch so bestimmt kommen, die geschundenen, vergessenen Gestalten ĂŒber die wir alle so gerne hinwegblicken, damit sie uns in unserem WohlstandsgefĂŒhl nicht stören, ihnen und ihrer Nöte kann man diesmal nicht ausweichen. Im Zusammenspiel mit den beklemmend gezeichneten GĂ€ngesystemen und Bunkern unter der pulsierenden Grosstadt nimmt die Handlung so manches Mal surreale, dann wieder beklemmende ZĂŒge an.
Zwar wird Kommissar Zufall oft, fast ein wenig zu oft bemĂŒht, doch gerade nach dem letztlich enttĂ€uschenden, dritten Inferno-Band zeigt vorliegender Roman deutlich, mit welcher IntensitĂ€t und Spannung Feige zu erzĂ€hlen weiss. Dabei kommt es ihm zugute, dass er seine Handlung in sehr kurzen Kapiteln ablaufen lĂ€sst, dass er bewusst in einem Stakkato der Blitzlichtaufnahmen Tatorte, Begebenheiten und Handelnde portraitiert.
Zur Buchmesse war zu erfahren, dass Ende nÀchsten Jahres mit »Gier« ein zweiter Thriller um und mit dem kantigen, grantigen Kalkbrenner auf den Leser warten wird. Bis dahin beweist vorliegendes Buch, dass deutsche Autoren mit der Hand am Puls der hektischen Zeit zu fabulieren wissen, dass Thriller der Extraklasse nicht nur im anglo-amerikanischen Sprachraum verfasst werden, und dass vieles in und unter der Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands nicht ganz so ist, wie es sich und uns die Politiker in beschönigenden Worten einzureden versuchen.