Little Wing, ein kleiner, unspektakulärer Ort im US- Bundesstaat Wisconsin, in dem es nur eine Kneipe, ein Einkaufszentrum, eine alte Mühe und ringsum Felder und Wiesen gibt; ein Ort, in dem jeder jeden kennt und die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Hier ist die Heimat der fünf Hauptfiguren des Romans, die kapitelweise abwechselnd in der Ich-Form aus ihrer Perspektive erzählen. Da sind Beth und Henry, die den Ort nie für längere Zeit verlassen haben, die sich seit Schulzeiten kennen und nun mit ihren beiden Kindern auf einer Farm leben, die sie mehr schlecht als recht ernährt, da die Wirtschaftskrise vor den ländlichen Regionen nicht halt macht. Ihre Kraft und ihren Optimismus ziehen sie aus ihrem stabilen Familienleben. Ihr Freund Lee dagegen, der mit dem titelgebenden Album „Shotgun Lovesongs“ eine große Karriere als Sänger/Songwriter gemacht hat, ist weltweit unterwegs, heiratet eine bekannte Schauspielerin und lebt in New York. Doch immer wieder kehrt er in seine Heimat zurück, aus Sehnsucht nach den alten Freunden und der Landschaft. Hier findet er ein Refugium vor dem Stress der Tourneen und der hektischen Oberflächlichkeit der großen Städte. Auch Kip fühlt sich hin -und hergerissen zwischen Stadt und Land. Als Rohstoffhändler an der Börse zu Reichtum gekommen, hat er das ehrgeizige Projekt, die alte Mühle zum Kulturzentrum umzubauen. Doch die Kosten explodieren und seine Ehe gerät in eine Krise. Schließlich ist da noch Ronny, einst gefeierter Rodeo-Reiter mit Alkoholproblem. Nach einem schweren Sturz ist er leicht behindert, aber mit ungebrochenem Selbstvertrauen findet er eine neue Frau, die er schließlich heiratet.
Alle diese Figuren sind seit jeher miteinander verbunden, aber da gibt es auch Rivalität, Geheimnisse und unbeglichene Rechnungen, die das Ideal der lebenslangen Freundschaft auf harte Proben stellen. Nicht alles ist so, wie es scheint, die scheinbar Erfolgreichen geraten in tiefe persönliche Krisen und müssen, auf sich selbst zurückgeworfen, erkennen, dass es noch andere Werte als materiellen Erfolg gibt.
Auch wenn es auf dem ersten Blick so aussieht, als singe der Autor, der selbst aus Wisconsin stammt, hier ein Loblied auf Heimatverbundenheit und traditionelle Werte in idyllischer Landschaft, so merkt man als Leser schnell die Risse unter der Oberfläche. Die Menschen vor Ort müssen hart ums Überleben kämpfen, und bei fast allen fünf Hauptfiguren spürt man die Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach kleinstädtischer Vertrautheit und weltstädtischer Offenheit. Die alte Mühle, die immer wieder zum Dreh -und Angelpunkt im Roman wird, fungiert als Symbol für verträumte Erinnerungen an die heile Welt der Kindheit, aber auch für Verfall und gescheiterte Hoffnungen.
Nickolas Butler, Jahrgang 1979, hat hier einen schönen, leicht melancholischen Debütroman geschrieben. Seine Beobachtung der Landschaft und der Menschen ist von einer Poesie und Intensität, die den Leser direkt sinnlich anspricht und in diese Welt versetzt, auch wenn er diesen Landstrich nie besucht hat. Die Charaktere haben Tiefe und erscheinen nach und nach vertraut wie eigene Freunde. Ein Buch, in das man „eintauchen“ kann und das immer mal wieder eine überraschende Wendung und ein filmreifes Show-Down am Ende auf Lager hat.
