Die Welt in einer nahen Zukunft ist geprägt von Imperialismus, Umweltzerstörung und Gewalt. Islamistische Terroristennetzwerke und die hochgerüsteten Militärmaschinerie des Westens bekriegen sich sein Jahrzehnten, die Menschen bleiben dabei ein ums andere Mal auf der Strecke.
Erzählt wird im Wesentlichen die Geschichten zweier Jungen. Beiden begegnen wir das erste Mal in ihrer Jugend, begleiten sie über die Zeit des Erwachsenwerdens bis ins hohe Alter. Beide erreichen in ihrem Leben viel, sind aber auch geprägt durch frühe Verluste geliebter Menschen, und beide werden seit ihrer frühesten Jugend von visionsähnlichen Träumen heimgesucht. In diesen begegnen sie ihren verstorbenen Freunden und Geliebten in einer phantastisch anmutenden, terrassenförmig angelegten Kristallstadt.
Martin, der US-Amerikaner hat einen Traum - nachdem sein bester Freund bei einem Selbstmordanschlag getötet wurde, will er, auch ihm zum Gedenken als Astronaut den Mars erobern. Nach ersten Erfolgen, so bastelt er im Teenageralter zusammen mit seinen Freunden eine erste Rakete, deren erfolgreicher Start die Zivilverteidigung auf den Plan ruft, macht er bei der Air-Force Karriere. Einsätze im islamistisch-fundamentalistischen Feindesland folgt die Ernennung zum Kommandeur der ersten bemannten Marsexpedition. Auf der Roten Planeten angekommen, bricht der Kontakt zur Landefähre abrupt ab. In einer Vision begegnet Martin seinem verstorbenen Jugendfreund, anschließend erstmals einem überlebensgroßen Mann, der ihn prüft. Um sein eigenes Leben zu retten, soll er einen Menschen töten.
Währenddessen wächst in Deutschland mit dem jungen Julius ein genialer Erfinder heran. Ersten Versuchen intelligente Spielgeräte zu entwickeln, folgt ein Studium der Informatik mit der Fachrichtung künstliche Intelligenz. Bei seinem Wiener Doktorvater muss er sich dann der Verantwortung als Schöpfer stellen. Darf der Mensch künstliche Intelligenzen schaffen, die von vorne herein ohne Furcht, Freude oder Hoffnung bleiben?
Auch sein Weg führt ihn auf den Mars. Hier entwickelt er für die Einzelgänger und Prospektoren Rummdogs, künstliche Fährtensucher, die ihren Hundevorbildern zum Verwechseln ähneln.
Im Verlauf der Erzählungen lernen wir weitere Personen und deren Schicksale kennen. Immer deutlicher wird, dass die Zeit der Menschen auf Erden dem Ende entgegengeht, dass sich vom Schicksal oder durch rätselhafte Rufe Ausgewählte auf dem Mars sammeln, um dort ein Erbe anzutreten, das ihnen hilft, mit Erinnerungen zu leben, das ihnen Prüfungen auferlegt und sie aus ihrer oberflächlichen Welt in ein Reich entführt, in dem einzig Moral und Verstand, Verantwortung und Gefühle zählen ...
Marcel Reich-Ranicki hat in seinem literarischen Quartett anno dazumal einmal sinngemäß den Ausspruch getätigt, dass ihn nur Bücher interessieren würden, in denen die Personen leiden.
Nun, gemäß dieser Vorgabe würde ihn Franz W. Haubolds Roman in Erzählungen zu faszinieren wissen.
Den Leser erwartet ein ungewöhnlich angelegter Text. In oftmals ergreifend intensiven Bildern berichtet uns der Autor von einer Zukunft, die erschreckend real wirkt. Religiöser Fundamentalismus, Terror und der Kampf der hochtechnisierten westlichen Staaten um die schwindenden Rohstoffe dominieren das Bild. Giftgasangriffe auf Großstädte, Selbstmordattentate, Guerilliaunternehmen beherrschen den Alltag der zunehmend verunsicherten Menschen. In dieser Atmosphäre, die geprägt ist von Angst um die eigene Existenz und um die Lieben, berichtet der Autor uns schlaglichtartig vom Schicksal einiger weniger.
Persönliche Enttäuschungen und Verluste prägen diese, Trauer, das Gefühl, allein gelassen zu werden, die Suche nach einem Sinn im Leben, die Ohnmacht ob des Schicksals, das sie erwartet, steht dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Unmerklich zunächst, doch dann immer deutlicher werdend, nehmen uns diese geschundenen und missbrauchten Charaktere gefangen, verstehen wir ihre Motivation, warum sie sich auf den Roten Planeten zurückziehen. Gerade die Zeichnung der Persönlichkeiten, die Überzeugungskraft, die diese Menschen annehmen, ist das Pfund, mit dem Haubold wuchert. Ihn interessiert die technische Seite der Marseroberung, ja selbst die Suche nach und das Verstehen der ersten Marskultur wenig. Ins Zentrum stellt er, wie sein großes Vorbild Ray Bradbury in »Der illustrierte Mann« und »Die Mars-Chroniken« seine Gestalten, ihre Entwicklung, deren Suche nach ihrem Platz in einer ständig unverständlicheren Welt, die Suche nach ihrem Schicksal und letztlich nach Vergebung. Die ungewöhnliche Struktur des Buches, dem Leser ein facettenreiches Bild einer Zukunft anhand von ausgewählten Einzelschicksalen zu präsentieren, erweist sich diesmal als zwar gewöhnungsbedürftiger und den Leser fordernder Glücksgriff. Es gilt sich immer wieder von Neuem auf andere Personen einzulassen, unterschiedlichste Orte und Geschehnisse auf sich wirken zu lassen.
Ein paar der im Buch enthaltenen Geschichten erschienen bereits in diversen Anthologien, die Lektorin Heidrun Jänchen hat einen eigenen, kurzen Beitrag beigesteuert, wobei sich das große Gemälde, das uns der Autor präsentiert, erst nach und nach aus dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Erzählungen zusammensetzt. Stilistisch ansprechend, handwerklich mit den kongenialen Innenillustrationen von Björn Lensing und dem stimmungsvollen Cover von Brita Seifert vorbildlich gestaltet, erwartet den Leser eine durchaus anspruchsvolle Lektüre, die nachdenklich macht, die zum Mitfühlen anregt, ja auch betroffen macht - in diesem Sinne ein Buch, an dem nicht nur Reich-Ranitzki seine Freude hätte.
Frank W. Haubold: Die Schatten des Mars.
Erster Deutscher Fantasy Club, Dezember 2007.
364 Seiten, Hardcover.