„Verfügung für den Todesfall: alle Zeugnisse von mir wie Berichte, Briefe, Ringheftchen sollen vernichtet werden, es stimmt nichts.“ schließt Frischs Protagonist, der Ingenieur Walter Faber, seinen Bericht über die Begebenheiten der letzten fünf Monate seines Lebens auf dem Krankenlager in Athen.
Ein ganzer Roman ad absurdum gefĂĽhrt von seinem eigenen Protagonisten?
Nein, ein Zeugnis einer grundlegenden Wandlung.
Walter Faber ist ein homo faber, ein schaffender Mensch, der sich die Welt durch technischen Fortschritt untertan macht. Das Leben wird nicht gelebt, sondern wahrgenommen, gefiltert und organisiert mit Hilfe technischer Errungenschaften. Körperlichkeit und Gefühl gibt es wenig, der Fokus liegt auf dem einwandfreien Funktionieren, dem Zivilisieren jeglicher „niederer Beweggründe“. Faber glaubt nicht an Zufall und Schicksal, er glaubt an die Physik und die Mathematik.
Wie es der Zufall jedoch so will, widerfährt ihm genau das Schicksal, das seine Lebensweise zu vermeiden versucht hat. Er trifft auf das Leben, das die ausgeklügelsteTechnik nicht zu verhindern in der Lage ist. Er muss sich auseinandersetzen mit „menschlicher Ineffizienz“, Emotionalität, Vergänglichkeit, Krankheit und Tod, als er durch eine Verkettung seltsamer Umstände und Zufälle auf die junge Sabeth trifft. Er ahnt nicht, dass die viel jüngere Frau, mit der er eine sexuelle Beziehung eingeht, seine leibliche Tochter ist, von der er annimmt, dass es sie gar nicht geben dürfte.
Vater und Tochter reisen als Liebespaar bald hierhin, bald dorthin und Sabeth ist eine gute Lehrerin, denn Faber erkennt durch sie, worauf es im Leben ankommt – auf das Leben selbst, es einfach zu leben, zu genießen und es ohne Filter aufzusaugen.
Doch wie der alte Ödipus muss Faber seinen ungewollten Inzest teuer bezahlen, denn seine Tochter/Geliebte stürzt und stirbt kurz darauf an einer Hirnblutung. Ungewollter Inzest? Vielleicht. Vielleicht aber auch herbeigeführt, eine zwingende Konsequenz seiner bisherigen, negierenden, ausklammernden Lebenshaltung. Wäre es anders gekommen, hätte er sich von vornherein mit Sabeths Mutter Hannah auseinandergesetzt, Hannah, die er in Sabeth wiedererkannt, wiedergefunden hat?
Und wieder greift das Schicksal, denn man trifft sich im Leben ja bekannter Maßen immer zwei Mal und nun ist es für Faber an der Zeit, auch in der „Lebensschublade“ mit dem Schildchen „Hannah“ aufzuräumen. Faber muss erkennen, dass er sein Leben unter falscher Prämisse gelebt hat und er ändert sich.
Der Roman schließt mit seiner Einsicht. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt jedoch, denn sie scheint zu spät zu kommen – für Sabeth allemal, ebenfalls für die Beziehung zwischen Hannah und Faber und für Faber selbst, denn obwohl der Ausgang offen bleibt, suggeriert das Ende, dass Faber sein Krankenlager nicht wieder lebendig verlassen wird.
Wieder ein Mal ein exzellent konzipiertes Buch über den Sinn des Lebens mit eindrucksvoller Charakterzeichnung, die Frisch mit dem Wechsel von technokratischem zu erlebendem Erzählstil sehr prägnant umsetzt.
Max Frisch: Homo faber – Ein Bericht (1957).
Suhrkamp, 2002.
208 Seiten, Taschenbuch, 8 Euro.