Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
Soja Krüger ist Ende dreißig, lebt im Berlin der späten Achtzigerjahre und verkauft Blumen an einem S-Bahnhof. Eines Abends begegnet ihr am Winterfeldplatz der gutaussehende Harry, der bald in ihre kleine Wohnung einzieht. Doch Harry ist ein Junkie, kommt geradewegs aus dem Knast und braucht dringend eine Drogentherapie. Soja aktiviert alle ihre Kräfte und die ihrer besten Freunde, um ihm zu helfen. Doch er wird rückfällig, und er ist HIV-positiv, was er ihr zunächst verschwiegen hat. Obwohl der Schock tief sitzt und Harry sie nur ausnutzt und für ihre Freunde nichts als Zynismus übrig hat, bleibt Soja bei ihm, bis er schließlich in einem Hospiz stirbt. In seinem Nachlass findet sie ein Tagebuch, doch in seinen Aufzeichnungen kommt sie nicht vor ...
Frau mit Helferkomplex entflieht ihrem tristen Alltag durch eine unglückliche Beziehung zu einem Mann, der sie mehr braucht als liebt - das hätte leicht in Sozialkitsch oder Betroffenheitsliteratur abgleiten können. Doch der Autorin gelingt es, daraus eine durchaus lesenswerte Geschichte zu entwickeln. Oft melancholisch, aber nie sentimental, in lakonisch-schnoddrigem Ton, lässt sie ihre Protagonistin eine Art langen Abschiedsbrief an Harry schreiben, und obwohl ihr zwischen den Zeilen schmerzlich bewusst wird, dass er ihr letztendlich mehr bedeutet hat als sie ihm, empfindet sie es trotzdem als Glück, ihm begegnet zu sein, da er Bewegung und Intensität in ihr ereignisloses Leben gebracht hat. Katja Lange-Müller entwickelt eine große Nähe zu ihrer Figur und streut viele ironische Details aus dem Westberlin der Vorwendezeit ein. Ein schöner und trauriger Roman, der den Leser nicht unberührt lässt.