Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
Sommer 1913, Baden Baden. Wie jedes Jahr ist Selma mit ihren Eltern, Oma Meta und Bruder Grischa in der Sommerfrische im Hotel Bellevue. Das Hotel kennt sie in- und auswendig, sie hat hier als Kind mit Grischa auf dem Dachboden Versteck gespielt. Jetzt ist sie endlich erwachsen, hat zum Entsetzen von Mutter Hedda den Führerschein und den roten Audi von ihrem Verlobten Gero. Die Spritztouren trösten Selma, als Gero, der als junger Partner in einer Berliner Kanzlei arbeitet, nicht wie vereinbart zu ihnen stoßen kann.
Auf einer der Ausfahrten lernt sie die achtzehnjährige Constanze kennen, eine patente junge Frau aus Metz, die nicht nur Auto fährt, sondern sogar in der Lage ist, es zu reparieren. Ingenieurin möchte sie gar werden.
Sie freunden sich an und unternehmen den ganzen Sommer hindurch Ausflüge. Als sie Robert, einen französischen Fotografen kennenlernen, werden sie ein unzertrennliches Trio. Bald merkt Selma indes, dass sie sich viel zu sehr zu ihm hingezogen fühlt. Sie schließen einen Freundschaftspakt, nichts soll sie trennen.
Ein Jahr später bricht der Krieg aus und Robert gehört nun zu den Feinden.
Bücher über den ersten Weltkrieg gibt es in diesem Jahr naturgemäß viele. In diesem Roman setzt die Erzählung indes ein Jahr früher ein, in dem unbeschwerten Sommer von 1913, als für die Verlegerstochter Selma so viel mehr möglich schien, als den Frauen der Generationen davor. In Kontrast gesetzt zu ihrer Mutter Hedda, die verzweifelt an der alten Weltordnung festhält, verkörpern Selma und noch mehr die angehende Ingenieurin Constanze die moderne Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt. Sehr zur Freude von Oma Meta, die aktiv in der Frauenrechtsbewegung aktiv ist und zudem unter Pseudonym erfolgreiche Romane schreibt, was ihre eigene Tochter nicht ahnt.
Gero, der Sohn aus gutem Haus und die perfekte Partie, hat ein dunkles Geheimnis und als Selma es entdeckt, ändert sich manches für sie. Dann kommt der Krieg und reißt alles auseinander. Europa wird mit Tod und Gewalt überzogen. Auch ohne Schilderungen endloser Schlachten gelingt es der Autorin, die Schrecken des Krieges und die Auswirkungen auf alle spürbar zu machen. Bei den Nebenfiguren ist besonders Oma Meta liebenswert und interessant und der Kontrast zu Selmas Mutter sorgt für komische Szenen. Die Aufbruchsstimmung am Ende des Krieges und mit dem Start der Weimarer Republik geht aus heutiger Sicht und dem Wissen, was danach kam, besonders unter die Haut. Ein Roman für lange Sommerabende auf der Leseterrasse.
Heidi Rehn: Der Sommer der Freiheit.
Knaur, Juli 2014.
672 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.