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Erin Kelly & Chris Chibnall: Broadchurch - Der Mörder unter uns
Broadchurch - ein kleiner KĂŒstenort im englischen Dorset. Beschaulich, jeder kennt jeden, im Sommer kommen die Touristen.
Detective Sergeant Ellie Miller ist gut gelaunt, als sie nach drei Wochen Urlaub auf dem Weg zur Arbeit ist. Es wartet die lang ersehnte Beförderung zum Detective Inspector auf sie.
Die Chefin hat jedoch eine Hiobsbotschaft: Ein AuswĂ€rtiger hat den Job bekommen. DI Alec Hardy. Ein Mann aus der GroĂstadt, mit schottischen Wurzeln, wo doch die Chefin sich mit Ellie einig war, mehr Frauen in FĂŒhrungspositionen fördern zu wollen. Ellie ist fassungslos.
Kaum hat sie die TrĂ€nen der Wut getrocknet, heiĂt es, am Strand wĂ€re etwas gefunden worden, vielleicht eine Leiche.
Sie rast dorthin. Der nĂ€chste Schock: Die Turnschuhe, die unter der Leichendecke hervorblitzen, kennt sie! Das ist Danny Latimer, elf Jahre, der beste Freund ihres Sohns Tom. Als Hardy sich Ellie vorstellt, rutscht ihr nur heraus âSie haben meinen Job.â
Und so beginnen sie zu ermitteln, dieses ungleiche Detektivpaar. Hardy, der grundsĂ€tzlich nur Nachnamen verwendet, verbittert ist, misstrauisch gegenĂŒber der gesamten Menschheit, dazu um jeden Preis seine angeschlagene Gesundheit vor den neuen Kollegen geheim halten muss. Und Ellie, fortan nur Miller, die an das Gute im Menschen glaubt und entsetzt ist, wen Hardy alles auf die Liste der VerdĂ€chtigen setzt. Dannys Eltern, Beth und Mark, Pfarrer Paul, das halbe Dorf befindet sich bald auf dieser Liste. Doch sie kommen dem Mörder nicht einen Zentimeter nĂ€her.
Als die Presse, besonders Karen White, die noch eine Rechnung mit Hardy offen hat, sich wie die Aasgeier auf die Story stĂŒrzt, eskaliert das Ganze.
Selten sind Romane, die nach Filmen oder Fernsehserien geschrieben werden, gut. Die Dramaturgie ist eine andere, die Innenansicht der Figuren muss detaillierter ausgebreitet werden.
Dieser hier ist es, und wie!
Das liegt zum einen an Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Erin Kelly, deren Erstlingswerk âDas Gift des Sommersâ (The Poison Tree) ein Bestseller war. Es ist ihr gelungen, das Drehbuch in einen Roman zu ĂŒbersetzen und die Figuren auf dem Papier lebendig werden zu lassen.
Und natĂŒrlich liegt es zu einem groĂen Teil an der Vorlage von Chris Chibnall.
Chibnall (Theater- und Fernsehautor) ist im britischen Fernsehen fĂŒr geniale Scripte bekannt, u.a. einige der besten âDoctor Whoâ-Folgen, âTorchwoodâ, âLife on Marsâ, âLaw and Order UKâ sowie das TV-Drama âUnitedâ ĂŒber den Flugzeugabsturz der Manchester United-Mannschaft im Jahr 1958.
Er ist in Dorset aufgewachsen und es reizte ihn schon lange, einen âWhodunnitâ in seiner Heimat anzusiedeln; einen, bei dem es nicht nur um die Ermittlung des Mörders geht, sondern viel mehr um den Effekt des brutalen Mords auf eine dörfliche, eingeschworene Gemeinschaft wie im (fiktiven) KleinstĂ€dtchen Broadchurch.
Was könnte entsetzlicher sein fĂŒr Eltern, als ihr Kind an einen Mörder zu verlieren? Höchstens, selbst ins Visier der Ermittler zu geraten. Und nach und nach, in jeder der acht Folgen, lenkt Chibnall den Verdacht auf andere prominente Gemeindeglieder. Pfarrer Paul Coates, den Kioskbesitzer Jack, Marks Angestellten Nigel und die mysteriöse Susan Wright, die mit ihrem Hund im Wohnwagenpark haust und sich merkwĂŒrdig verhĂ€lt.
Chibnall schrieb das Script, bevor er einen Auftrag oder Vertrag hatte, weil er die Geschichte erzĂ€hlen musste. Storys, die so entstehen, neigen dazu, gut zu sein. Zum GlĂŒck hatte der Sender ITV den Mut, den Zuschauern das Durchhaltevermögen fĂŒr eine durchgehende Handlung ĂŒber acht Folgen zuzutrauen.
Broadchurch war ein Gassenfeger in England, ohne âKrach-Bumm-Pengâ-Verfolgungsjagden, schnelle Schnitte oder CSI-Pinselwedelei. Einfach durch tiefgezeichnete Figuren, spannende Ermittlungsarbeit, intelligente Dialoge, eine durchgĂ€ngig hervorragende Besetzung.
Die ganze Nation rÀtselte mit, wer hat Danny Latimer getötet?
Die ganze Nation war entsetzt ĂŒber die Auflösung.
In jedem Land, in dem es bisher ausgestrahlt wurde, hat sich der Broadchurch-Effekt wiederholt.
AuĂer ... ja, richtig.
In Deutschland sitzt ein Sender auf den Rechten, und bis man dort auf die Idee kommt, es - synchronisiert - auszustrahlen, werden viele potentielle Zuschauer die DVD erworben haben. Das lohnt sich insbesondere deshalb, weil David Tennant (bekannt aus Doctor Who, als Hamlet, Casanova, Richard II) hier eine Paraderolle fĂŒr sein ĂŒberragendes Talent gefunden hat. In seinem nativen schottischen Dialekt ist er nachweislich am besten, bringt er die Emotionen roh und ungefiltert auf den Bildschirm. Doch ich will nicht von dem Buch ablenken - es ist ein tolles Erlebnis, es zu verschlingen, auch nachdem man die Serie gesehen hat, und selbst die Vorkenntnis der Auflösung nimmt nicht die Spannung heraus. Das hat auch den Effekt, dass man die Stimmen der Darsteller beim Lesen hört (n.b.: Ich hatte die englische Version). Wenn man die Serie nicht kennt, ist es einfach ein geniales Buch.
Interessanterweise hat Fox fĂŒr Amerika die gesamte Serie neu gedreht. Zwei Folgen lĂ€nger, mit anderer Auflösung, anderen NebenhandlungsstrĂ€ngen, komplett amerikanisch/kanadische Besetzung - auĂer bei der Hauptrolle. Hier sieht man David Tennant mit amerikanischem Akzent als DI Emmett Carver, weil die Macher ihn unbedingt dabei haben wollten, ein Novum bei nachgedrehten Serien. Erstausstrahlung Oktober 2014.
Und kaum war der Dreh von âGracepointâ, wie der fiktive (jetzt kalifornische) KĂŒstenort auf der anderen Seite des Atlantiks heiĂt, im Kasten, gingen in England die Dreharbeiten zu Broadchurch II los. Die Geschichte ist mindestens so gut wie die erste, laut aller Beteiligten, man darf gespannt sein â auch auf den Begleitroman.
Erin Kelly & Chris Chibnall: Broadchurch - Der Mörder unter uns.
Fischer, August 2014.
448 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.