Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Wladimir Kaminer, Sohn einer russisch-jĂŒdischen Aussiedlerfamilie, kam 1990 von Moskau nach Berlin. Dort gilt er als Kultautor. In knapp anderthalb Jahren brachte er drei eigene BĂŒcher sowie eine Anthologie mit Texten befreundeter Jungliteraten heraus. Er managt auĂerdem die von ihm erfundene Russendisko und moderiert eine Rundfunksendung. Der SPIEGEL widmete ihm einen ausfĂŒhrlichen Artikel(nachzulesen bei amazon). Eine deutsche Schriftsteller-Traumkarriere, vergleichbar nur mit der von Stuckrad-Barre.
Doch mit dem Quasselkasper der PopLit-Gemeinde hat der Russe nun nix gemein. Hier langweilt uns kein spĂ€tpubertĂ€ter Möchtegern-Bohemien. Hier schreibt einer tatsĂ€chlich Geschichten, die SpaĂ machen. Nach dem Erfolg seines ersten ErzĂ€hlbandes âRussendiskoâ legt Kaminer nun seinen ersten Roman vor. âMilitĂ€rmusikâ - der Name ist natĂŒrlich nicht ganz ernst zu nehmen, und auch die beiden Jungs in Uniform auf dem Cover gucken gar nicht so streng - ist die Geschichte einer Jugend in der Sowjetunion der 80er Jahre. Sieben Episoden aus dem Leben des Autors, querbeet durch die spĂ€tsozialistische Gesellschaft der Gorbatschow-Ăra, als alte Verkrustungen langsam aufbrachen. Doch das ist mehr zwischen den Zeilen zu lesen. Wladimir Kaminer langweilt uns nicht mit Klagen ĂŒber MĂ€ngelwirtschaft und ParteibĂŒrokratie. Stattdessen inszeniert er sein Dasein als Schelmenroman. Ob beim Theater in Moskau, beim MilitĂ€rdienst in der Pampa oder im Irrenhaus- ĂŒberall beherrschen skurrile, bisweilen durchgeknallte Gestalten die Szenerie. Unter den gegebenen UmstĂ€nden können sie gar nichts anderes sein als sympathische Loser, die gewollt oder ungewollt jeden Bevormundungs- und Erziehungsversuch der allgegenwĂ€rtigen BĂŒrokratie ad absurdum fĂŒhren. So scheitert z.B. der Versuch, den gröĂtenteils aus Suffköppen bestehenden Bewohnern eines Moskauer Parks âernsthafte Kulturâ beizubringen, aufs KlĂ€glichste, ein staubtrockenes TheaterstĂŒck gerĂ€t unfreiwillig zur Lachnummer, und junge Soldaten eröffnen aus Langeweile in der Kaserne unter dem PortrĂ€t Gorbatschows ein WahrsagebĂŒro. Ein Kapitel fĂŒhrt wie ein Road-Movie durch die damalige Jugend- und Popkultur der UdSSR. Illegale Rockkonzerte, abgelegene Zeltlager, in denen âSĂ€uferbrigadenâ mit Esoterikern aneinandergeraten, Freaks, die sich allerhand Drogen zusammenbasteln. Oft ist die Grenze zwischen RealitĂ€t und Fiktion nicht so recht auszumachen. Was ist wirklich passiert, und was entspringt der blĂŒhenden Phantasie des Autors? Man weiĂ es nicht, doch das schmĂ€lert des LesevergnĂŒgen mitnichten. Gerade sein fröhlicher Anarchismus dĂŒrfte Kaminers Erfolg beim Publikum begrĂŒnden. Man muĂ dem Spiegel recht geben: Ein groĂes ErzĂ€hltalent, noch dazu mit einer unnachahmlichen Art vorzutragen. Wovon man sich auch mittels Hörbuch ĂŒberzeugen kann.
(Vom selben Autor im selben Verlag:âRussendiskoâ, 2000; âSchönhauser Alleeâ (erscheint im Dez. 2001) sowie als Fischer TB die Anthologie âFrische Goldjungsâ)