Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Es ist ja im Vorfeld viel geschrieben worden ĂŒber diesen Roman. Meistens, dass er davon handeln wĂŒrde, wie der Islam in Frankreich die Regierung ĂŒbernimmt und wie begeistert Teile davon von der ehemals christlichen Bevölkerung adaptiert werden. Eine Beschreibung der modernen europĂ€ischen Gesellschaft, die sich selbst abschafft, weil sie sich ĂŒberlebt hĂ€tte. Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo war "Unterwerfung" dann in allen Medien. Obwohl ich Houellebecq eigentlich als viel zu sperrig und zu verkopft schon ad Acta gelegt hatte, bin ich dann doch noch mal schwach geworden. Und dieser Roman ist wirklich anders, als die VorgĂ€nger. ZunĂ€chst einmal ist er gut lesbar. Immer noch schwere Belletristik, aber nicht mehr ganz und gar unverstĂ€ndlich. Er erzĂ€hlt eine Geschichte, in der auch vorkommt, dass eine islamfreundliche Regierung an die Macht kommt und einiges in ihrem Sinne verĂ€ndert. Parallelen sind wohl eher nicht zufĂ€llig: Zum einen betont Michel Houellebecq, wie es dieser Partei bereits in der Vergangenheit gelang, durch Jugendorganisationen AnhĂ€nger zu finden, zum anderen ist die Partei aber auch fĂŒr die meisten anderen Parteien das kleinere Ăbel. Geschichtsinteressierten wird diese Konstellation bekannt vorkommen und Houellebecq arbeitet hier vermutlich bewusst mit Formulierungen, wie sie in jedem Geschichtsbuch fĂŒr das Jahr 1933 stehen.
HĂ€tte ich das Buch ohne die riesige Menge an Vorbesprechungen gelesen, hĂ€tte ich vermutet, dass er grundsĂ€tzlich eine Dystopie mit offenem Ende schreiben wollte. Dass er ein Buch darĂŒber schreiben wollte, wie leicht man radikalen Regierungen auf den Leim geht und mit welchen Mitteln sie arbeiten. Denn es ist fĂŒr den Literaturprofessor François - ebenso wie fĂŒr seine Kollegen - durchaus von Vorteil, sich mit dem Koran zu beschĂ€ftigen und nicht auf dem eigenen christlichen Glauben zu beharren. Ich hĂ€tte vermutet, dass Houellebecq das Ende bewusst offen hĂ€lt, damit der Leser seine SchlĂŒsse selbst ziehen kann. Aber inzwischen ist so weit verbreitet, dass es um die Islamisierung Frankreichs ginge, dass ich das Buch schon unter diesem Vorurteil gelesen habe. Trotzdem kann ich dem nicht vorbehaltlos zustimmen. Es geht um Francois, einem Literaturprofessor in den Vierzigern, der gerade sein Leben infrage stellt und dann mit dem Regierungswechsel eine Möglichkeit sieht, dieses radikal zu Ă€ndern und dass auch noch von seiner Umwelt wohlwollend betrachtet. Damit lĂ€sst er sich - beinahe, denn das Ende ist wie gesagt offen - vor den Karren der neuen Regierung spannen. FĂŒr mich ist das eher die Geschichte eines typischen MitlĂ€ufers, der sich Informationen nur zur Beruhigung seines eigenen Gewissens holt und nicht aus Interesse oder zur echten Meinungsbildung, als eine Geschichte ĂŒber die Islamisierung Europas. Es geht eher um das BĂŒrgertum, das sich bereitwillig fĂŒgt, als dass es darum geht, was die neue Regierung eigentlich fĂŒr Ziele hat. Oder einfacher ausgedrĂŒckt: Der Islam in seiner Rolle in diesem Roman ist austauschbar (durch jede Partei mit radikal-einseitigen Ansichten - wobei noch zu beachten ist, dass es ja nur um Houellebecqs Darstellung des Islam geht, nicht um die RealitĂ€t); François dagegen ist die Typisierung des egozentrischen EuropĂ€ers, der jedes System toleriert, solange es ihm nur nĂŒtzt. Damit hat er alle QualitĂ€ten eines Protagonisten, der zum Nachdenken anregt. Zum Nachdenken darĂŒber, welche Tricks er verwendet, um vor sich selbst zu verschleiern, dass es doch eigentlich nur um ihn selbst geht.
Michel Houellebecq : Unterwerfung.
DuMont, Januar 2015.
280 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,99 Euro.