Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Laufen ist ihr Leben, die Langstrecke, 10.000 Meter. Jeden Morgen trainiert Jennifer im Park und ihr größter Wunsch ist es, nächstes Jahr bei den Olympischen Spielen zu starten, hier in London, ihrer Heimat. Doch bei Wettkämpfen versagen ihr ständig die Nerven, sie rast unkontrolliert, bekommt Panikattacken und kann kaum ein Rennen beenden.
Ihr Trainer gibt sie auf.
Da wird sie eines Morgens von einem jungen Iren angesprochen, Gregory. Er möchte Jennifer trainierten, weil er ihre Urgroßmutter Alberta verehrt. Wie bitte, denkt Jenny? Gewiss, Grandma Alberta ist eine Baronesse mit einem feudalen Landsitz und einer Stiftung, die sich um Sportler kümmert, aber was hat das mit Olympia zu tun?
Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Alberta war selbst einst Olympionikin. Nicht nur das. Sie kam einst aus einem anderen Land nach England. Und ihre Olympiateilnahme war im Jahr 1936.
Die eineiigen Zwillinge Alberta und Auguste könnten verschiedener nicht sein. Guste ist ruhig und häuslich und schwärmt für ihren Tanzpartner. Alberta ist Albi mit dem Bogen, talentiert, lebenshungrig, liebt Pferde über alles und den Sport. Albi rechnet nach, in fünf Jahren werden die Olympischen Spiele hier in ihrer Heimat, in Berlin, stattfinden, dann ist sie einundzwanzig, genau im richtigen Alter. Olympia, das größte Ereignis! Ihr Vater, Radio Bernhard, beliebter Sportreporter, wird davon berichten. Da erfüllt sich für Albi ein Traum vor dem Traum: Ihr Vater hat Karten organisieren können, er wird die Zwillinge zu den 1932er Spielen nach Los Angeles mitnehmen! Albi ist außer sich vor Freude.
Nicht so Guste, die ihren Tänzer jetzt schon vermisst. Nicht ahnend, dass er ein Geheimnis verbirgt.
Doch bald kündigen sich am Horizont schon dunkle Ereignisse an ...
Wie schon im Roman „Als wir unsterblich waren“ erzählt die Autorin hier eine bewegende Familiengeschichte in zwei Zeitebenen. In Etappen und Mosaiksteinen erfährt man, wer Albi mit dem Bogen war, wieso Jennifer kein Rennen beenden kann und was die eine mit der anderen Geschichte zu tun hat. Eines ist klar, man kann seiner Vergangenheit nicht entfliehen, sondern jeder kommt an den Punkt, an dem er sich ihr stellen muss. Und auch lange zurückliegende Taten und Ereignisse, Missverständnisse und Verletzungen haben ihre Auswirkungen in die heutige Zeit.
Ein hochspannendes Stück Zeitgeschichte, akribisch recherchiert, bewegende Schicksale und tief berührende Liebesgeschichten, dieser Roman ist eine ganz besondere Lektüre.
Charlotte Roth: Als der Himmel uns gehörte.
Knaur, April 2015.
608 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.