Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Woher nehmen die Autoren ihre Ideen? Woher kommen Inspirationen für Welten wie Liliput, Mittelerde oder Nimmerland? Wer hat sich diese Fragen nicht schon einmal gestellt?
James A. Owen findet in seinem Fantasyroman „Wo Drachen sind – die Chroniken der Imaginarium Geographica“ eine Antwort auf diese.
Zur Zeit des 1. Weltkriegs finden drei Oxford-Studenten nach London. Dort hat sich ein brutaler Mord ereignet, und das Opfer war der Mentor eines Studenten. Doch anstatt auf der Anklagebank findet John sich plötzlich in Begleitung eines seltsamen Mannes, der sich Bert nennt, wieder und wird bedrängt, mit denen ihm unbekannten Universitätskameraden auf eine Schifffahrt zu gehen. Auf eine Schifffahrt, die zum Abenteuer ihres Lebens werden soll.
Bert führt sie mit seiner Tochter Aven in den Archipel der Träume – eine Inselgruppe, die geradezu alle Länder aus Mythen, Legenden und Erzählungen vereint. Hier kreist die Nautilus um Avalon, hier hat die Arche angelegt.
John, James und Charles sind überwältigt. Doch noch mehr schockiert sie die Anforderung, die an sie gestellt wird. Denn auch wenn Wasser die einzelnen Inseln des Archipels voneinander trennt, gibt es eines, das sie alle eint – die Imaginarium Geographica. Diese ist ein Atlas, in dem die Inseln Archipels verewigt wurden. John wird die Aufgabe zuteil, diesen Atlas zu hüten, zu beschützen und zu übersetzen, mit Hilfe der Ausbildung, die er von seinem ermordeten Professor erhalten hat. Wenn da nicht ein Problem wäre: John hat die Ausbildung niemals ernst genommen, denn was sollte er schon mit toten Sprachen im England des 20. Jahrhunderts bewirken können. Nie hätte er sich gedacht, dass er einst einen Atlas übersetzen müsste, in dem die Bemerkungen in den unterschiedlichsten Sprachen von Altdeutsch bis Lateinisch notiert sind.
Aber seine Arbeit ist von äußerster Wichtigkeit, denn ein brutaler Winterkönig droht, den ganzen Archipel unter seine grausame Herrschaft zu stellen. Mehrere Inseln hat er schon in seinen Besitz genommen und in Schatten gehüllt.
Nicht nur John, sondern auch Charles und Jack stehen vor Situationen, die ihren größten Einfallreichtum, ihre schnellste Waghalsigkeit und ihren Mut erfordern. Und schließlich fügt sich alles zu einem Kampf um die Welt der Fantasy, die den drei die Inspiration gibt, die sie zu ihren Schaffen als Schriftsteller anregen – als die Schriftsteller J. R. R. Tolkien, Charles Williams und C. S. Lewis.
Owen konstruiert in seinem Jugendroman eine Traumwelt – viel schöner als Nimmerland und viel überwältigender als Mittelerde, weil sie diese beiden sowie andere Welten vereint.
Es macht eine riesige Freude, die Ereignisse zu erleben, die Anstoß sein sollen für die Erzählungen Narnias und die Abenteuer des kleinen Hobbit.
Auf dieser Reise durch den Einfallsreichtum trifft der Leser alte Bekannte wie Kapitän Nemo, hier findet er Erklärungen für das Monster von Loch Ness.
Als Leser rutscht man einfach in die Geschichte hinein, kämpft neben Jack, hockt gegenüber von John über der Imaginarium Geographica. Und dies ist so, weil Leser und Protagonisten in der gleichen Situation stecken. Ihnen beiden wird eine Welt vorgestellt, in der sich die Helden ihrer Bücher und Sagen tummeln. Hier werden Sehnsüchte geweckt und Zuneigung aufgebaut. Wobei sich eine Sage in den Mittelpunkt des Romans zu drängen versucht – die Artussage. Aus diesem Grund wird das Buch aber nicht einseitig oder gar langweilig.
Doch wenn man als Leser, die Namen und geschlagenen Verbindungen nicht kennt, tappt man für einen kurzen Moment im Dunkeln. Dies gilt aber eigentlich nur für unbedeutendere Punkte.
Während der Reise mit den drei Oxfordstudenten fällt der Leser durch Höhen und Tiefen, muss mit rätseln, welche Konsequenzen der nächste Schritt haben wird, ärgert, freut und fühlt mit. Und gleichzeitig wägt man sich in vollkommener Geborgenheit, denn all die Schauplätze, die besucht werden, kennt man schon. Sie sind vertraut wie alte Schulfreunde.
Die Vorstellung ist einfach faszinierend: Es soll eine Inselgruppe geben, die all die großen Schriftsteller wie Goethe, Jules Verne oder Hans Christian Andersen kannten und die ihnen als Vorlage für ihre Erfolgsmanuskripte diente.
„Wo Drachen sind“ ist einfach viel zu kurz, um die Liebenswürdigkeit und Schönheit, die der Roman in sich trägt, zu verarbeiten.
James A. Owen: Wo Drachen sind.
cbj, November 2007.
400 Seiten, Hardcover, 16,95 Euro.