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Heinz Strunk: Der Goldene Handschuh
Jetzt bestellen bei amazon.de! Seit Feuerwehrleute im Juli 1975 bei Löscharbeiten in einer Ottenser Mansardenwohnung auf Säcke mit Leichenteilen stießen, gehört Fritz Honka zu den Gruselgestalten der deutschen Nachkriegszeit. Dass sein Name auch heute noch ein Begriff ist, dürfte weniger an den ihm zugeschriebenen vier Morden liegen als an den Begleitumständen: Der Hilfsarbeiter und Nachtwächter hatte die Leichen seiner Opfer nicht nur zerstückelt, sondern in der Abseite der eigenen Wohnung verstaut, lebte also über Jahre mit ihnen zusammen, der Verwesungsgestank eher unzulänglich überdeckt mit Klosteinen und Raumspray.
Die zeitgenössische Berichterstattung trennt klar zwischen dem Hamburger Asozialentum, dem Honka und die getöteten Frauen entstammen, und der anständigen Bevölkerung; so lesen sich viele Artikel von damals wie ein atemloser Blick in eine hässliche, von minderwertigen Kreaturen bevölkerte Parallelwelt, in der es Opfer geben mag, aber keine Unschuldigen: „dieses schreckliche Milieu, angesiedelt dort, wo die Großstadt Hamburg ihre bösesten Züge trägt“ (Hamburger Abendblatt, 26.11.1976).
Und nun kommt Heinz Strunk mit einem Roman über diesen Honka, auch genannt der „Blaubart von Mottenburg“, die „Bestie von Altona“, oder schlicht Fiete.
Zugegeben, Heinz Strunk muss man mögen. Ich mag ihn sehr, gerade weil er hochdrastisch Dinge formuliert, die der Großteil der gut sozialisierten Mitmenschheit lieber uneingestanden lässt; dies auf der Basis einer tiefen Menschlichkeit und Sensibilität, und überhaupt erst erträglich gemacht durch einen knochentrockenen Humor.
Geht das zusammen mit der Thematik eines laut Richterspruch zutiefst lebens- und persönlichkeitsverwahrlosten Triebtäters aus der niedersten Unterschicht? Das geht prima, vor allem, weil Strunk auf all das verzichtet, was man automatisch erwartet bzw. befürchtet, wenn man literarische Aufarbeitung einer Serienmörderbiographie hört. Weder wird mit der bereits von der Berichterstattung bekannten Mischung aus Naserümpfen und Sensationskitzel auf diesen fernen Mikrokosmos herabgeblickt, noch arbeitet er sich ab an Erklärungsversuchen; Honkas Kindheit und Jugend mögen zwar für heutiges Empfinden quasi zwangsläufig in den Sadismus geführt haben, nur stellt Honka hier keineswegs ein Einzelschicksal dar, und die Unfähigkeit, die innere Isolation zu durchbrechen, ob nun durch Grausamkeit, Zuneigung oder den Versuch von Kommunikation, zieht sich im Roman geradezu leitmotivisch durch sämtliche Gesellschaftsschichten.
Honkas Leben ist von Anfang bis Ende aus einem Guss, sein Werdegang nach ganz, ganz unten so (durch Pech und Fehlentscheidung) selbstverschuldet wie banal wie unausweichlich, denn Fiete Honka, so scheint es hier, ist ein Mensch, der hinnimmt, akzeptiert, sich begnügt, wenig erwartet und nie wirklich hinterfragt. Ein passiver Charakter, der sich nichtsdestotrotz sehnt – nach Besserem, nach Schönem, natürlich in letzter Instanz nach Liebe. Auch ein Romantiker, der von einer Frau träumt, die zumindest ansatzweise als hübsch durchgehen kann, eine Frau mit Zähnen und Frisur, bleibt ein Romantiker.
Zimperlich ist Heinz Strunk auch in diesem Roman nicht, insbesondere, was den menschlichen Körper und seine vielfältigen, gern auch unfreiwilligen Funktionen angeht, aber im Grundton zeigt sich der „Goldene Handschuh“ überraschend zartfühlig. Man weiß, was da in Fietes Wohnung so fürchterlich riecht, aber es spielt zweite Geige zu dem, was sich im Vordergrund abspielt – die Bedürftigkeit(en) der existenziell gescheiterten Frauen, für die Fiete die allerallerletzte Anlaufstelle darstellt (und damit sind beileibe nicht nur die gemeint, die seine Wohnung nicht wieder verlassen werden); der Umstand, dass Fiete es in seiner alles durchdringenden Verwahrlosung trotz allem noch ansatzweise in sich findet, sich zu kümmern, nicht zuletzt seine permanenten Anläufe in Richtung einer besseren, „richtigen“ Existenz. Der größte Traum ist ein Leben im Guten und Gesunden „wie alle anderen“, ausgetestet und herbeigelockt durch versuchsweise Hafenrundfahrt oder Hagenbeck-Ausflug; das größte Glück ein Topf frisch gekochter Suppe (zubereitet von einer Frau, die eine Erklärung unterschreiben muss, „dass ich es im Leben noch nicht so gut hatte wie bei Herrn Honka“, was nicht absolut wahr sein mag, aber zumindest in der Welt des Romans leider auch nicht vollkommen abwegig) und der Besuch von Bruder Siggi. Und über allem spielt „Es geht eine Träne auf Reisen“ in Dauerrotation.

Parallel zu Honkas Geschichte erhalten wir Einblick in den Zerfall einer Hamburger Reederfamilie – beste Kreise und somit weit weg von Fiete und den Wracks in seiner Stammkneipe, aber letztlich genauso leere Existenzen, finanziell vielleicht abgesichert, aber emotionell im freien Fall und zwischenmenschlich ebenso verroht wie das „schreckliche Milieu“. Während Fiete sich nach oben orientiert, suchen die diversen Familienmitglieder den Schmuddel, finden etwas wie destruktive Verzückung im Degenerierten.
Im „Goldenen Handschuh“, der Absturzkneipe unterster Schublade, aus der Honka seine nicht minder tragischen Opfer mit nach Hause nimmt, kreuzen sich die Wege.

Strunk stellt seinen Fiete Honka als arme Sau vor, durchaus mit Mitgefühl, aber ohne falsches Mitleid – sie sind alle arme Säue, vom Reederenkel bis runter in die Säuferbelegschaft des Goldenen Handschuhs, einer wie der andere. Kannssunix an machen. Man hat sich das Leben anders vorgestellt, aber jetzt ist es nun mal so; und die Frage, was es eigentlich genau ist, das man möchte, das man bräuchte, um Sinn ins Leben zu bringen, kann sich der Bodensatz aus Altona letztlich ebensowenig beantworten wie die Bessergestellten in Hamburg-Blankenese.
Also arrangiert man sich in seiner Resignation. Trinkt, bis auch der letzte Rest Verstand oder Hoffnung oder Traurigkeit weg ist. Das klingt leichter, als es ist, die Stimmung im Goldenen Handschuh ist das Gegenteil von verklärt oder nachsichtig, es wird geprügelt, beleidigt, gepisst, gelitten, gequält, denn was man sich da wegsäuft, ist nicht zuletzt (und notwendigerweise) auch die Menschlichkeit.
Fiete holt sich die Schwächsten dieser Schwachen, aber innerlich tot sind sie eigentlich alle, für die Gesellschaft sowieso, und wenn sie verschwinden, vermisst sie niemand: An sich ist der einzige Ort, an dem sie noch existieren dürfen, der Goldene Handschuh.

Muss man das lesen, ist das nicht fürchterlich deprimierend? Auf eine Art natürlich schon; aber Heinz Strunk schafft es, dass man nicht nur die Kaputten im „Handschuh“ mit Sympathie betrachtet, sondern auch trotz bekanntem, vorgegebenen Ende mit Fiete Hoffnung schöpft, wenn er wieder einmal einen neuen Job anfängt, sich in die Welt der „Normalen“ wagt und mit seinem Blick von außen deren Leben studiert, was gern zum Lachen gereicht, einem aber durchaus schon mal ein kleines bisschen das Herz brechen kann („Eine Frau zerbricht eine Tafel Sprengel-Zartbitterschokolade und reicht ihren beiden kleinen Töchtern abwechselnd die Stücke. Da stimmt einiges nicht, denkt Fiete. Punkt eins: Bitterschokolade, welches Kind mag schon bittere Schokolade, und bei der Wärme schmilzt die, und es kommt todsicher zu einer Sauerei. Im Sommer im Freien nur Gummibärchen.“).
Es ist nicht nur für ihn ein Blick in eine andere Welt, auch uns heutigen Lesern muss das Hamburg von damals so fremd vorkommen wie seine Bewohner; und zumindest für Momente steht einem Honka, die kranke Sau, der Frauenzerhacker, der Blaubart von Mottenburg, näher als dieser Kosmos, in dem er so gern ankommen möchte, und in dem er keinen Platz findet.

Heinz Strunk: Der Goldene Handschuh.
Rowohlt, Februar 2016.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,95 Euro.

G.K. Nobelmann

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