Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
Einer DER Klassiker schlechthin, heruntergebrochen auf fünf Sätze aber ist’s ja eigentlich nur dies:
Den alternde Schriftsteller Gustav von Aschenbach packt die Reiselust.
Er fährt nach Venedig.
Er trifft auf den polnischen Knaben Tadzio.
Er entbrennt in homo-erotischer (,aber unkörperlicher, meint: nicht praktizierter) Leidenschaft zu dem Jungen.
Nach dem Genuss von infiziertem Obst stirbt er an der, in der Stadt grassierenden Cholera, während er dabei zuschaut, wie Tadzio im Meer planscht und ihm zuwinkt.
Betrachtet man den reinen und vordergründigen Handlungsstrang, klingt das vielleicht entweder recht öde oder derart fremd, dass „Otto Normalleser“ weniger damit anfangen kann.
Warum gehört diese Novelle dann aber doch zu einem der bekanntesten Werke der deutschen Literatur, einem der meist gelesenen Werke Thomas Manns?
Weil der Text einfach noch viel mehr hat, etwas, das man auf den zweiten Blick nach genauerem Hinschauen oder – mit dem nötigen klassischen Hintergrundwissen - auf den ersten Blick erkennt.
„Für sich allein“, als reiner Text, ohne äußeren Bezugsrahmen, funktioniert die Novelle (vielleicht leider, vielleicht aber auch glücklicherweise, das ist wohl Ansichtssache) nur in Ansätzen, denn Vieles steht eher zwischen den Zeilen.
Also, auf nach Griechenland! Ja, ja, unser Schauplatz ist Italien, Mann jedoch weilt traditionsbeflissen dann aber wohl gedanklich doch eher in Griechenland...
Einerseits deswegen, da sich die Novelle nicht nur mit ihrer Aufteilung in fünf Kapitel, sondern auch der Anwendung einer Art Hexameters an Aufbau und Stil des klassischen griechischen Dramas orientiert.
Andererseits, weil Manns Figuren nicht nur plottechnischer Selbstzweck sind, sondern ebenfalls, auf die antike griechische Mythologie verweisend, symbolische Tiefe haben. So werden aus scheinbaren Randfiguren Hadesführer, aus Tadzio Hermes, der griechische Götterbote, der in diesem Falle Dionysos, dem griechischen Gott des Rausches dient.
Und daraus folgt dann – in von Aschenbachs Abwendung vom ergebnisorientierten Schreibertum hin zum rauschhaften Beglücktsein von Tadzios Jugendlichkeit – zum Dritten die Auseinandersetzung mit dem nüchtern-effektiven apollonischem und dem rauschhaft-lebendigen dionysischem Prinzip.
Deswegen ist Der Tod in Venedig einer DER Klassiker schlechthin. Eigentlich vier Bücher in einem:
- Die Geschichte um den alten Mann und den Jüngling an sich
- Die Frage nach den im Hintergrund liegenden Lebensprinzipen
- Manns Zeitzeugenbericht einer literarischen Epoche mit individuellem Autorenerleben, persönlicher Lebensgeschichte und Hinterfragung der eigenen Identität
- Die Auseinandersetzung mit dem sowohl zeitgenössischen als auch klassisch-griechischen literarischem Erbe
Thomas Mann: Der Tod in Venedig (1912).
Fischer Taschenbuch, März 2008.
Taschenbuch, 8 Euro.