Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Max Aue, durch seine französische Mutter teilweise in Frankreich aufgewachsen und in Deutschland zum Dr. jur. ausgebildet, hat sich nach dem Krieg als Franzose nach Frankreich absetzten können und fĂŒhrt dort ein ruhiges Leben als Chef einer Firma, die Spitze herstellt. Aus gesellschaftlichen GrĂŒnden, nicht aus Liebe, hat er geheiratet und hat zwei Kinder. Er wurde nie behelligt, nie fĂŒr seine Taten verfolgt. Doch seine Erinnerungen plagen ihn, er sieht immer wieder GrĂ€uelbilder, leidet unter AlptrĂ€umen und schubweisem Erbrechen, schon seit dem Krieg, daher schreibt er seine Memoiren, um sich selbst ĂŒber seine Vergangenheit klar zu werden, er kotzt die Worte beinahe so unhaltbar heraus wie das Essen. In beklemmender AusfĂŒhrlichkeit berichtet er vom Russlandfeldzug, von der Vernichtung ganzer Dörfer, vor allem der systematischen Judenvernichtung, an der er teilnahm, obwohl er es immer fĂŒr âVerschwendungâ hielt. Bei einer dieser âSĂ€uberungsaktionenâ ist er zum ersten Mal ausgetickt und wurde in die Krim geschickt zur Erholung, doch geheilt wurde er nicht.
NatĂŒrlich ist er klĂŒger als viele der Verantwortlichen, er erkennt schon frĂŒh, dass der Russlandfeldzug scheitern muss, an mangelnder Vorbereitung, mangelndem Material, er hat es immer gewusst. Er steht immer ein wenig abseits, der Intellektuelle, der an den SpĂ€Ăen der Kameraden keinen Gefallen findet, sogar einschreitet, wenn diese bei den Hinrichtungen wahllos Menschen quĂ€len.
Wer ist dieser ObersturmbannfĂŒhrer Max Aue, der seine Kapitel mit musikalischen Bezeichnungen wie âAllemande, Toccata, Sarabandeâ etc. ĂŒberschreibt und ganz am Anfang ein seitenlange Berechnungen anstellt, welche Völker im Krieg wie viele Tote pro Tag, Stunde, Minute zu beklagen haben?
Er wĂ€re gern Klavierspieler geworden und bekniet als Kind seine Mutter um ein Instrument und Unterricht. Ob sie sich prostituieren musste, um es zu bezahlen, fragt er sich Jahre spĂ€ter, doch das ist ihm egal. Als ihm seine Fortschritte nicht schnell genug gehen, gibt er auf und wirft seiner Mutter vor, ihn nicht dazu gedrĂ€ngt zu haben; ja, sie ist Schuld, dass er kein berĂŒhmter Pianist werden konnte. Das zieht sich wie ein roter Faden durch seine Memoiren, nie ist er Schuld, immer sind es die anderen, die UmstĂ€nde, er hat schlieĂlich auch nur seine Pflicht getan. Er ist ein Mann wie die Leser, die er anspricht, dies betont er so oft, dass man das GefĂŒhl bekommt, er versuche sich das mit Gewalt einzureden. Philosophie und Literatur wollte er studieren, zitiert stĂ€ndig Philosophen und Schriftsteller, selbst im Feldzug, statt dessen wurde er Jurist.
Einmal im Leben hat er eine Frau geliebt, die er nicht haben durfte, seine Zwillingsschwester Una, zu der er eine inzestuöse Beziehung unterhielt, bis sie auseinandergerissen wurden. Er wĂ€re selbst gerne eine Frau gewesen und hat seit der Jugend, seit seiner Zeit im Internat Liebschaften mit jungen MĂ€nnern. Er ist ĂŒberhaupt nur in die SS eingetreten, um einer Verfolgung wegen VerstoĂ gegen den Schwulenparagraphen zu entgehen.
Littells Absicht mit diesem Roman war, so sagt er in Interviews, das Innenleben eines zum Mörder gewordenen Kriegsteilnehmers darzustellen. Doch gerade das wird erschwert, denn Aue ist zu sehr eine Kunstfigur. Er wirkt, als hĂ€tte Littell ihm alle möglichen TĂ€terfacetten einbauen wollen. Der Intellektuelle, der die Judenfrage effizienter gelöst hĂ€tte, der Leidende, dem die GrĂ€uel die Verdauung ruiniert haben, der Homosexuelle, der sich in analerotischen Fantasien ergeht und mit jungen MĂ€nnern austobt. Der Leser kann sich zurĂŒcklehnen und sagen: Der ist so verrĂŒckt, den kann ich gar nicht ernst nehmen als TĂ€ter, daher muss ich mir keine Gedanken machen, wie und warum so viele zu MitlĂ€ufern und ohne pathologische Störungen zu Massenmördern wurden. Und so setzt Littell immer noch eins drauf, bis die Figur nur noch unglaubwĂŒrdig ist: Inzest, Ermordung der Mutter, ganz am Schluss beiĂt er gar Hitlerdrei Tage vor dessen Tod im FĂŒhrerbunker in die Nase (zumindest in der deutschen Ăbersetzung, diese Szene wurde im französischen Original in der ersten Ausgabe verĂ€ndert). Meines Erachtens hĂ€tte dieser Roman aus TĂ€tersicht erheblich mehr Wirkung, wĂ€re die Hauptfigur ein normaler Mensch, der peu Ă peu vom System verroht und verdorben wird, einer solchen Entwicklung wĂŒrde der Leser mit Entsetzen folgen.
Fundiert recherchiert, langweilt Littell aber mit seitenlangen Abhandlungen beispielsweise ĂŒber die Linguistik der kaukasischen Völker, jedes recherchierte Detail musste untergebracht werden, ob es fĂŒr den Fortgang der Geschichte wichtig ist oder nicht. Gerade in diesen Passagen fĂ€llt es schwer, sich zum Weiterlesen zu animieren.
Das Buch wimmelt von Nebenfiguren, die zu zahlreich sind, um den Ăberblick zu behalten, auch sind sie kaum charakterisiert. Die MilitĂ€rs werfen mit ihren Befehlen um sich, viele bekannte Namen haben einen kurzen Auftritt. Was die Sprache anbetrifft, frage ich mich (ich habe es im Original gelesen), wie die Franzosen das Buch verstehen konnten, da es von deutschen Wörtern durchsetzt ist und der Verlag ein Glossar einbauen musste, weil der Autor sich nicht die MĂŒhe machte, die Begriffe zu erklĂ€ren. Littell erzĂ€hlt in epischer Breite und mit wuchtigen Bildern, was gerade bei den Tötungs- und Folterszenen stellenweise unertrĂ€glich wird.
âMussâ man das Buch gelesen haben? Die Frage ist schwer zu beantworten. Sicher ist es ein mutiger Versuch, die Schrecken des zweiten Weltkriegs aus TĂ€tersicht zu schildern, und da Littell ein Franzose mit jĂŒdischen Wurzeln ist, gerĂ€t er nicht unter den Generalverdacht der Verherrlichung, auf die bei einem deutschen Autor sicher argwöhnisch gelauert wĂŒrde. Andererseits hat er in meinen Augen durch die erheblich gestörte Hauptfigur die Chance verspielt, wirklich ernst genommen zu werden und eine ernste Diskussion anzuregen. Denn liest man ein wenig in Diskussionsforen, so geht es dort vorrangig um die pornographisch-voyeuristischen Elemente des Buches, eine echte Auseinandersetzung mit den GrĂŒnden der Schrecken des dritten Reiches wird so wieder einmal vermieden.
Jonathan Littell: Die Wohlgesinnten.
Berlin Verlag, Februar 2008.
1385 Seiten, Hardcover, 36 Euro.