Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Steve und seine Freunde Hector, Charlie und Craig sind auf dem Weg nach Hause, als es geschieht. Eine Explosion ganz in der Nähe lässt Craig das Steuer verreißen und schon kommt es zum Unfall.
Aber war es überhaupt eine Explosion?
Steve vermag es nicht zu sagen, klang der Knall doch eher wie eine Posaune. Was jedoch noch schlimmer ist – von Craig fehlt jede Spur. Während Hector den Unfall nicht überlebte, steigen Charlie und Steve aus, um sich umzuschauen. Was sie sehen verschlägt ihnen den Atem, denn die Interstate 83 nahe Baltimore hat sich in ein Katastrophengebiet verwandelt. Aber nicht nur, dass sich unzählige Unfälle ereigneten. Nein, mehr und mehr Menschen werden vermisst. Junge und alte, Männer und Frauen. Selbst ein Baby ist verschwunden.
Wo sind sie hin?
Schnell machen wilde Spekulationen die Runde, die bis hin zur Entführung durch Außerirdische reichen.
Für Steve ist das Schicksal der Verschwundenen nebensächlich, denn er will im Angesicht der Panik nur eines – zu seiner Frau, die bereits auf ihn wartet.
Gemeinsam mit Charlie und einem Bauarbeiter namens Frank, der zu ihnen stößt, machen sie sich auf einen langen Fußmarsch. Während um sie herum das Chaos tobt, begreifen sie allmählich, was sich ereignet hat ...
Brian Keene überraschte seine Leser angenehm mit »Das Reich der Siqqusim«, in dem er ihnen seine Version von Zombies präsentierte und damit das Genre bereicherte.
Er überraschte seine Leser ebenfalls angenehm mit den »Wurmgöttern«, die während apokalyptischer Regenfälle aus der Erde kriechen und die Menschen terrorisieren.
Nun also überrascht er die Leser mit dem dispensationalistischen Werk »Der lange Weg nach Hause« – aber leider nicht angenehm.
Auch wenn er im Nachwort schreibt, dass diese Novelle für eine religiöse Anthologie geschrieben wurde, kann dies die Aussage des Textes nicht entschuldigen. Dazu ist sie zu propagandistisch, was die Aussage der religiösen Rechten in den USA betrifft, dazu ist sie zu verklärt und zu biblisch.
Natürlich geht es um Entrückung und den Beginn der Endzeit, natürlich werden die Guten – die wiedergeborenen – Christen entrückt und natürlich bleiben die Sünder, darunter auch die Homosexuellen und jene, die nicht mehr an Gott glauben, zurück. Einzig die Hauptfigur, ein Jude ohne besonderen Glauben, gehört zu den 144.000 Auserwählten, die am Ende Gottes Gnade erfahren werden. Selbst der Präsident der Vereinigten Staaten wird entrückt. Seine Taten, u.a. der völkerrechtswidrige Angriff auf den Irak, zählen nicht. Er gehört der richtigen Religion an, also wird er entrückt.
Damit betreibt Keene die gleiche, stark religiöse Propaganda, wie es Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins und ihrer Serie »Left Behind« tun.
Die Aussage, die er dabei trifft, ist bedenklich. »Schau, der Schwule – erst bleibt er zurück, dann geht es ihm schlecht. Schau, der Ungläubige. Erst bleibt er zurück, dann geht es ihm an den Kragen. Hätten sie nicht gegen Gottes Wort verstoßen, hätten sie geglaubt ...«
Heil gibt es nur für die Wiedergeborenen Christen, denn die reisen direkt per Entrückung gen Himmel – schwupp und weg. Auf den Rest warten Trübsal, Antichrist, Krieg und Elend.
Gottes Liebe, wie sie im Neuen Testament gelehrt wird und allen Menschen gilt? Nein, denn da ist ja noch das Alte Testament, in dem Gott straft und jede Verfehlung rächt. So erklärt es ein Priester in dem Buch, und so hat man das zu sehen. Befolge Gottes Wort, oder du bist im Arsch. Da möchte man als Leser sofort ein lautes Halleluja anstimmen und das nächste Taufbecken austrinken.
Religiöse Themen sollen und dürfen nicht tabu sein. Aber die Engstirnigkeit, das undifferenzierte Herunterbeten von angelsächsisch-protestantischen Glaubensgrundsätzen führt dazu, dass aufgeklärte Leser das Buch ablehnen. Die deutliche Trennung zwischen Sündern und Christen, zwischen jenen, die Gottes Gnade erfahren und jenen, die Pech hatten, basiert auf längst überkommenen, in den USA aber leider noch immer akzeptierten Moralvorstellungen. Dabei hatte Keene die Chance, ein anderes Bild von Gott zu zeichnen. Eben indem er nicht die gleiche Wertung vornimmt, nicht in die gleiche, überkommene Kerbe schlägt. Doch Keene verschenkt diese Chance zugunsten eines propagandistischen Machwerks.
Literarisch kann sich das Büchlein ebenfalls nicht mit anderen Romanen von Keene messen. Die Hauptfigur bleibt blass, die anderen Personen noch blasser. Die »Bestie Mensch« wird drastisch geschildert, ohne dass der Leser etwas dabei empfindet. So fern er nicht ohnehin auf kleiner Flamme kocht, ob des religiös-fanatischen Overkills, mit dem ihn der Autor konfrontiert.
Nach 180 Seiten stellt man zudem fest, dass der Roman nicht hält, was der Klappentext verspricht. Der »lange Weg« sind lediglich jene Meilen vom Unfallort bis zur Wohnung des Protagonisten. Das, was im Klappentext versprochen wird, die Suche nach einem neuen Zuhause, nach Gott und Liebe, fehlt völlig. Ebenso wie die Spannung scheinbar einen langen Weg nahm und nur stückchenweise im Buch ankam. Obwohl anfangs atmosphärisch, nutzt sich dies bald ab.
Das Buch an sich ist gut aufgemacht und entspricht der Qualität, die man von dem Otherworld-Verlag gewohnt ist.
Fazit: Was hätte der Autor nicht alles aus diesem Stoff machen können. Er scheiterte grandios, obwohl ich befürchte, dass das Buch in den USA in gewissen Kreisen durchaus Anerkennung fand und noch immer als Masturbationsvorlage manch religiösem Eiferer dient.
Mir ist da der Playboy lieber, auch wenn ich darum vermutlich nicht entrückt werde ...
Brian Keene: Der lange Weg nach Hause.
Otherworld-Verlag, März 2008.
180 Seiten, Taschenbuch, 8,95 Euro.